Keimzellen eines großen Wählerfrustes

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Im Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich glänzen die Kandidaten mit Demagogie und mit dem Fehlen ausgegorener Rezepte gegen die Krise.

Man kann dank der Krise in Europa derzeit ganz trefflich über "große Würfe“ und Reformen von Politik und Staat diskutieren. Das versuchten vergangene Woche auch der Parteichef der französischen Sozialisten François Hollande und der Philosoph Peter Sloterdijk im eindrucksvollen Ambiente der Straßburger Oper. Von Nietzsche und Hannah Arendt war da viel die Rede, vom "versprechenden Menschen“ (vulgo Politiker) als "Ermöglichungsgrund menschlicher Zivilisation“ und dann noch von den Gemeinsamkeiten zwischen Karneval und Politik.

Der vielleicht künftige Präsident Frankreichs, Hollande, meinte auch noch, er wolle den Wählern das Gefühl der "Enteignung“ und der "Desillusionierung“ nehmen, das entstanden sei, weil die Menschen das Gefühl hätten, sie könnten nicht mehr über Europa entscheiden.

Das Tief in den Umfragen

So weit hätte Hollande gar nicht greifen müssen. Glaubt man der aktuellen Eurobarometer-Umfrage über die Stimmung im Volke, dann steckt Frankreichs Politik in einem weit tieferen Tief als die europäischen Institutionen. Binnen zweier Jahre ist das Vertrauen der Franzosen in ihr Parlament und ihre Regierung von 36 Prozent auf 24 Prozent gefallen. Den Parteien misstrauen gleich 85 Prozent der Franzosen. Europaparlament und EU-Kommission dagegen bewegen sich aktuell bei 36 Prozent Vertrauensniveau.

Diese schlechten Werte, die sich - wenn auch in milderer Form - auf andere EU-Mitgliedstaaten umlegen lassen, sind wohl auch eine Folge der Themen und Agenden, welche seit Beginn der Krise von der Politik gesetzt werden - und nicht nur in Frankreich.

Tendenz Eins: Es gibt keine Vorschläge, die einen Weg aus den strukturellen Defiziten der europäischen Industriestaaten weisen würden. Vor allem ein Ausweg aus den negativen Konsequenzen der Wachstumskrise. Wenn nicht gerade die Wirtschaftsaussichten aufgrund fragwürdiger Daten, wie zuletzt vom Internationalen Währungsfonds Richtung Wachstum getrimmt werden, bietet sich ein relativ tristes Bild. Das gilt vor allem für Bereiche, die als alleinige Zuständigkeit der nationalen Regierungen gesehen werden, wie etwa der Arbeitsmarkt. Beispiel Frankreich: Die Arbeitslosenquote liegt dort derzeit bei 10 Prozent und es gibt wenig Aussichten auf eine jobschaffende Konjunktur. 60 Prozent der über 55jährigen sind arbeitslos. Dazu ist die Zahl der jugendlichen Arbeitslosen zuletzt auf 25 Prozent gestiegen, ein Plus von sieben Prozent innerhalb eines Jahres.

Im Wahlkampf in Frankreich findet sich dazu wenig Hoffnung tragendes. Sarkozy setzt auf eine Abgabenbefreiung für Unternehmer die ältere Arbeitnehmer einstellen, Hollande arbeitet ebenfalls mit Abgabenerlass, wenn junge Arbeitnehmer eingestellt und durch ältere angelernt werden. Sowohl Experten der Gewerkschaften als auch der Unternehmer haben die Vorschläge als wirkungslos bezeichnet.

Definitiv zu wenig sein werden diese Maßnahmen allerdings, wenn man den neuerlichen Einbruch der Automobilindustrie in Betracht zieht, den wichtigsten Industriezweig Europas. Unionsweit wird mit Umsatzeinbußen von fünf Prozent gerechnet, in Frankreich sollen es gar acht Prozent werden. Der Automobil-Experte Wilhelm Diez von der Hochschule Nürtingen sieht 250.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Die Autobauer sprechen von Überkapazitäten bis zu 20 Prozent, die nun abgebaut werden müssten.

Woher nehmen?

Das alles trägt einen Beigeschmack der Krise 2008/2009. Der herbe Unterschied: Weder Frankreich noch die anderen Euro-Staaten - von Deutschland einmal abgesehen können sich eine neue Konjunkturstütze mit Milliarden-Zahlungen leisten. Gemessen an diesen Herausforderungen, gemessen an einer Gesamtstaatsverschuldung Frankreichs von 85 Prozent des BIP und gemessen an einer 5prozentigen Neuverschuldung, werden Wahlkampfschlager wie die Reichensteuer wohl kaum eine Trendwende einläuten können. Und weil das so ist, steht zu fürchten, dass, um bei Sloterdijks Nietzsche-Zitat zu bleiben, der "wahlversprechende Mensch“ hier binnen kurzer Zeit bloß zum Ermöglichungsgrund von viel Wählerfrust wird.

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