"Das ist eine Katastrophe“

Werbung
Werbung
Werbung

Selbst wenn die griechische Wirtschaft um drei Prozent pro Jahr wüchse, würde es 20 Jahre dauern, um die Arbeitslosenzahl auf Vorkrisenniveau zu bringen.

Savas Robolis ist Professor für Sozialökonomie an der Panteion Universität in Athen und Direktor des Instituts für Arbeit, das die Entwicklungen in der Arbeitswelt wissenschaftlich erforscht. Robolis ist Experte für Sozial- und Beschäftigungspolitik. Er fungiert auch als Regierungsberater.

Die Furche: Herr Professor Robolis, was sagen die jüngsten Zahlen über die Arbeitslosigkeit in Griechenland?

Savas Robolis: Nach offiziellen Angaben beträgt die Arbeitslosenquote derzeit 27,6 Prozent, das sind etwa 1,300.000 Menschen. Nach unseren eigenen Berechnungen liegt der Durchschnitt in diesem Jahr aber höher, nämlich bei 29 Prozent oder etwa 1,4 Millionen Menschen. Für 2014 erwarten wir, dass sie bis auf 31 Prozent anwachsen wird. Die Situation ist äußerst angespannt. Besonders alarmierend sind die Zahlen für die Jugend-Arbeitslosigkeit. Sechzig Prozent der jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die nicht mehr zu Schule gehen, stehen ohne Job da. Das ist eine Katastrophe. Viele junge Menschen verlassen daher das Land und versuchen ihr Glück anderswo.

Die Furche: Was ist Ihrer Ansicht nach die Ursache für diese Entwicklung?

Robilis: Das liegt auf der Hand. Die mittlerweile fünf Jahre andauernde schwere Rezession und die Sparpolitik sind die Ursachen. Es fehlen dringend notwendige Investitionen. In den vergangenen Jahren haben etwa 200.000 Kleinbetriebe zusperren müssen. Solange diese Sparpolitik weiter in Kraft bleibt, wird es auch weiterhin keine Jobs geben.

Die Furche: Die Regierung verströmt Optimismus. Es heißt, die Wirtschaft sei erstmals seit Jahren wieder in die Wachstumszone zurückgekehrt, der Staat erwirtschaftet - vor Abzug der Zinszahlungen - einen Primärüberschuss.

Robilis: Man muss das Problem in seiner ganzen Tiefe verstehen. 30 Prozent Arbeitslose verschwinden auch in einer Hochkonjunktur nicht von heute auf morgen. In den letzten vier Jahren hat eine Million Menschen die Arbeit verloren. Angenommen, die griechische Wirtschaft würde in den nächsten Jahren mit stabilen drei Prozent jährlich wachsen - was übrigens eine höchst optimistische Annahme ist: Es würde nach unseren Berechnungen immer noch 20 Jahre lang dauern, bis die Arbeitslosenzahl wieder um diese eine Million gesunken ist.

Die Furche: Was bedeutet die Krise für die, die noch Arbeit haben?

Robolis: Im Vergleich zu 2009 sind die Einkommen und damit der Lebensstandard um 40 Prozent gesunken. Das muss man erst einmal verkraften. Außerdem erhalten vier von zehn Bediensteten ihr Gehalt nicht regelmäßig. Manchmal warten sie drei, vier, fünf, sechs Monate darauf. Auch das ist schwer erträglich. Dazu kommen noch die vielen neuen Steuern, die der Staat seinen Bürgern auflastet, um sein Defizit zu verringern. Die Zahl der working poor - arbeitende Menschen, die sich ihr Leben nicht mehr leisten können - ist stark angewachsen.

Die Furche: Griechenland hat schöne Inseln und Küsten. Es ist ein beliebtes Urlaubsland. Liegt darin nicht eine Chance?

Robolis: Es stimmt, der Tourismus hat in diesem Jahr wieder um etwa zwölf Prozent zugelegt. Das ist erfreulich. Allerdings geht diese Steigerung zur Gänze auf das Konto ausländischer Touristen. Der griechische Binnentourismus hingegen ist stark eingebrochen. Sehr viele Familien können es sich nicht mehr leisten, auf Urlaub zu fahren - auch nicht im eigenen Land.

Die Furche: Der amerikanische Finanzexperte Charles Dallara sagte, es müsse alles unternommen werden, um die Arbeitslosenquote unter 20 Prozent zu drücken. Seither ist die Arbeitslosenquote noch gestiegen. Wie stabil ist das politische System?

Robolis: Die politische Lage ist äußerst prekär. Nehmen Sie die Bedrohung durch faschistische Bewegungen, vor allem die Neonazi-Partei Chrysi Avgi. Dass sie so stark werden konnte, ist eine direkte Folge der Krise und der sozialen Lage. Man muss sich im Klaren sein, was das bedeutet: Im kommenden Frühjahr finden Europawahlen statt. Aus heutiger Sicht würde Chrysi Avgi ins Europaparlament gewählt. Damit wären Neonazis in einer europäischen Institution vertreten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung