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Rebellion der „alten Kämpfer“

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Spanien hat seit kurzem eine legale Opposition mit einem öffentlichen Publikationsorgan. Sie kommt nicht aus dem liberalen, sozialistischen oder gar kommunistischen Lager, die weiterhin geächtet bleiben, sondern aus der „Nationalbewegung“, der Falange selbst. Ihre Träger, die „Alte Garde“ der Falange und deren junge Anhänger, verkünden darum, noch „innerhalb des Regimes zu stehen“, um es „für die (falangistische) Revolution zu gewinnen“, bereit aber, „sich ihm entgegenzustellen“, wenn die heutige „Abweichung (von der falangistischen Parteilinie) die Fundamente des Staates verändert“. Nötigenfalls würde die Falange die Straße mobilisieren, „ihre Revolution in den Fabriken und auf dem Land ausrufen“, und sogar die jetzigen staatlichen Einheitssyndikate von Unternehmern und Arbeitern sprengen, um die ursprüngliche falangistische Arbeitergewerkschaft wieder zu beleben.

25 Jahre falangistische Opposition

Diese Haltung der „alten Kämpfer“ überrascht nicht. Die Falange schloß sich 1936, bei Ausbruch des Bürgerkriegs, als sie gerade drei Jahre bestand und noch eine Zwergbewegung war, Franco an, in der Hoffnung, ihn für sich zu gewinnen. Aber dessen konservative Anhänger — „die liberal-kapitalistische Rechte“, wie die Falan-gisten sagen — waren stärker, und so dekretierte der Generalissimus 1937 die Vereinigung der Sozialrevolutionären Falange mit ihren Erbfeinden, den monarchistischen „Traditionalisten“. Die Proteste der linientreuen Falan-gisten wurden übergangen, einige ihrer Führer gar zum Tod verurteilt, jedoch begnadigt. Seither aber betrachtet sich die „Alte Garde“ als in der Opposition stehend.

Natürlich war die Falange ursprünglich eine von vielen europäischen Einheitsbewegungen, mit Uniformhemd, Stiefeln, römischen Gruß und Straßen-kämpfermentalität. Sie ähnelte den italienischen Faschisten mehr als der NSDAP, betonte aber deutlich ihren Katholizismus und nahm darum auch an dem internationalen Faschistenkongreß 1934, in Montreux, nicht teil. Sie, genauer gesagt die „Alte Garde“, scheint sich aber im Verlauf von 30 Jahren etwas demokratisiert zu haben. Zumindest erlaubt die erste Nummer ihrer Zeitschrift „Es Asi“ (So ist es) diesen Schluß.

Das Volk ist gleichgültig

Die Altfalangisten und ihre junge Gefolgschaft gehen heute von der Voraussetzung aus, daß die Masse in Spanien dem Staat der Technokraten und Apparatschiki, der im „Heidentum der Mittelmäßigkeit“ versinke, gleichgültig gegenüberstehe. Das Regime habe dem Kommunismus keine Weltanschauung, sondern nur die „Hausfrauengesinnung“ seiner „Techniker“ entgegenzusetzen, dank deren die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer würden. Darum heißt es in „Es Asi“: „Für das Volk haben nicht die Roten, sondern die Arbeiter den Bürgerkrieg verloren. Gewonnen aber haben ihn die gnädigen Herren der Rechten.“ Deshalb, sollte es einmal zu einem Umschwung kommen, der nur zu Kommunismus oder Anarchie führen könne, „wird es nicht genug Bäume geben, um uns aufzuhängen“. Was aber hat das Regime dagegen getan, das „sich unverändert seil 26 Jahren dahinschleppt“? Hat es „der

Kapitalismus abgebaut, um eine gerechtere Ordnung einzuführen“? Nein, es habe die Massen „entpolitisiert“ und „mit den Worten der Toten (besonders Jose Antonio Primo de Rive-ras, des Gründers der Falange) die Lebenden chloroformiert“.

Realismus und Demagogie

Was aber fordert die „Alte Garde“? — „Willen zur politischen Aktion und revolutionäre Authentizität.“ Das bedeutet auf politischer Ebene: Zwei-kammernsystem, gegründet „auf dem Recht des Volkes, Macht und Regierungsverwaltung wirksam zu kontrollieren“. Das soziale Maximalprogramm lautet: „Stabilisierung der Preise, Vollbeschäftigung, Neuverteilung des Besitzes und Einkommens, Bodenreform, Abschaffung der Monopole, Nationalisierung des gesamten Bankwesens und der Elektrizitätsgesellschaften, soziale Sicherheit, Gleichheit der Aufstiegsmöglichkeiten, Mindestgehalt von

200 Pesetas täglich für alle Arbeiter [Franco kündigte kürzlich ein Tagesminimum von theoretisch 60, faktisch 100 Pesetas an), Steuerfreiheit für persönliche Arbeit, Vergenossenschaftlichung der Unternehmen“. Bis diese Forderungen erfüllt sind, soll aber die Sozialpolitik sich nach dem Schlagwort richten: „So lange es keinen Reichtum zu verteilen gibt, haben wir unsere Armut gerechter aufzuteilen!“

Auf internationalem Gebiet wendet sich die „Alte Garde“ gegen den Beitritt zur EWG um den Preis der Aufgabe der falangistischen Prinzipien, besonders da die Gefahr bestehe, daß Spanien zum Lieferanten von Arbeitskräften und landwirtschaftlichen Produkten degradiert, dafür von ausländischen Industriegütern überschwemmt werde. Ferner regt „Es Asi“ die Aufnahme von Beziehungen zur Sowjetunion an, damit Spanien seine „Lieferanten von Grundstoffen frei wählen kann“ und sich nicht die Einmischung der Westmächte in seine internen Angelegenheiten gefallen lassen müsse.

Soziale Bewegungen

Manches an dem Falangeprogramm klingt unrealistisch, ja demagogisch. Zumindest lassen sich einige Reformen nicht übers Knie brechen, freilich auch nicht 25 Jahre lang hinausziehen. Außerdem rennt es oft offene Türen ein, da das Regime nicht so immobil ist, wie behauptet wird, und der wirtschaftliche Aufschwung sowie einige soziale Verbesserungen augenfällig sind. Doch das Wichtigste ist, daß es jetzt überhaupt eine Opposition gibt, die über eine Zeitschrift verfügt und öffentliche Versammlungen abhalten kann und das Regime es duldet, daß an ihm scharfe Kritik geübt wird. Ein Ereignis dieser Art ist aber seit Fran-cos Machtantritt nicht zu verzeichnen gewesen. Verfrüht wäre es jedoch, das Auftreten der „legalen Opposition“ mit der jüngsten Arbeitsverlangsamung in Betrieben Asturiens und den Protesttelegrammen der mit irfren Gehältern unzufriedenen Postangestellten an Vizeregierungspräsident Muiioz Grandes in Verbindung zu bringen.

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