Von der Anti-Partei zur Staatspartei

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Sie schafften es von der Öko- und Friedensbewegung bis zum Koalitionspartner im Bund: Nach einem Tief haben die deutschen Grünen wieder Rückenwind.

"Die Grünen“ wurden am 13. Januar 1980 in Karlsruhe gegründet. Ihre Wurzeln liegen in einem breiten Spektrum verschiedenster politischer Strömungen: Neben Vertretern der Ökologie-, der Anti-Atomkraft-, der Friedens- und der Frauenbewegung reichte die Bandbreite von Mitgliedern kommunistischer Splitterorganisationen über bäuerliche Aktivisten bis hin zu ehemaligen CDU-Mitgliedern sowie wert- und rechtskonservativen Gruppierungen.

Was diese seltsame Mischung einte, war die Ablehnung der "zerstörerischen Industrie- und Konsumgesellschaft“, die von den Linken als "kapitalistisch“ und von den Konservativen als "modernistisch“ gebrandmarkt wurde.

Während sich viele Linke frustriert vom Klassenkampf lossagten und hofften, ihrem Ziel der Systemveränderung durch das Spielen der "grünen Karte“ neues Leben einhauchen zu können, setzten konservative Gruppierungen darauf, mit dem Thema "Ökologie“ ihren anti-modernen und romantischen Naturansichten einen neuen Schub zu verleihen.

Technologie-Ängste

Auch nach dem Ausscheiden einiger rechter Gruppierungen blieb die, wie Mitbegründerin Petra Kelly sie bezeichnete, "Anti-Parteien-Partei“ im klassischen Sinne wertkonservativ, wenngleich ihr buntes, alternatives Erscheinungsbild sowie die Überreste linkssozialistischer Rhetorik zumindest in den Anfangsjahren eine Aura des alternativen Aufbruchs verbreitete.

In der bis heute grüne Politik prägenden ängstlichen Ablehnung zahlreicher Technologieformen (Atomkraft, grüne Gentechnik, Nanotechnologie), großer Infrastrukturprojekte ("Stuttgart 21“) sowie im Imperativ der "Nachhaltigkeit“ und dem Primat des Umweltschutzes spiegelt sich die ur-grüne Skepsis gegenüber der Fähigkeit des Menschen, die Folgen seines Handelns abschätzen und kontrollieren zu können, wider.

1983 zogen die "Grünen“ in den Bundestag und 1985 in Hessen erstmals als Juniorpartner der SPD in eine Landesregierung ein. Überrollt von der deutschen Wiedervereinigung scheiterte die Partei bei den Bundestagswahlen 1990 an der Fünf-Prozent-Hürde, die sie 1994 nach der Fusion mit dem ostdeutschen "Bündnis ’90“ sowie nach quälenden inhaltlichen Debatten aber wieder übersprang. Mit der Bildung der rot-grünen Bundesregierung 1998 und der Ernennung von Joschka Fischer zum Bundesaußenminister war "Bündnis 90/Die Grünen“, wie die Partei seit 1993 heißt, endgültig im etablierten Parteienspektrum angekommen.

Den Kern ihrer Wählerschaft bilden die arrivierten städtischen, aber auch für Ängste sehr empfänglichen Mittelschichten. Seit 2005 ist die Partei im Bundestag wieder in der Opposition und zumindest auf kommunaler und auf Länderebene nicht mehr ausschließlich auf rot-grüne Bündnisse ausgerichtet: Seit 2009 regiert sie im Saarland an der Seite von CDU und FDP.

Grüne Politik färbt ab

Ihre pazifistischen Wurzeln hat die Partei längst gekappt: Gerade unter Rot-Grün wurde die Teilnahme an zahlreichen Militärinterventionen forciert. Die Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft ist dem Streben nach einer "ökologischen Marktwirtschaft“ gewichen. Geblieben ist die Skepsis gegenüber technologischem Fortschritt und Großprojekten, die sich inzwischen auch in allen anderen Parteien verbreitet hat.

Als "Urheber“ grünen Denkens gelang es den Bündnisgrünen angesichts der AKW-Krise im japanischen Fukushima, in der Bevölkerung Glaubwürdigkeit für sich zu reklamieren. Der jetzige Wahlerfolg in Baden-Württemberg und die Aussicht darauf, mit Winfried Kretschmann erstmals den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes stellen zu können, wird der Partei weiteren Auftrieb geben - gleichzeitig aber auch ihre vermeintliche Authentizität auf eine harte Probe stellen.

* Der Autor ist freier Journalist, Redakteur des Debattenmagazins Novo-Argumente, diplomierte über die Grünen ( www.novo-argumente.com; www.heitmann-klartext.de).

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