6643822-1958_11_17.jpg
Digital In Arbeit

Der Mensch und seine Wohnung

Werbung
Werbung
Werbung

Kulturgeschichte des Wohnens. Von E. Meier-Oberist. Verlag F. Holzmann, Hamburg 1956. 344 Seiten, reich illustriert.

Mensch und Wohnen (Life and Human Habitat). Von R. Neutra. Verlag Alex. Koch, Stuttgart 1957. 317 Seiten.

Zwei Bücher, die das Problem der menschlichen Behausung von völlig verschiedenen Blickpunkten her betrachten und — jedes in seiner'Art — einen erregenden Einblick in das Wesen des Menschen, wie es sich in der Gestaltung seiner Umwelt äußert, gewähren. ' - ,-rfc -triff ••'

E. Meier-Ober ist gibt in seiner „K u 1-turgesehichte des Wohnens“ einen schon lange erwarteten Ueberblick über die Entwicklung des Wohnens seit frühester Zeit. Natürlich kann in einer so gedrängten Zusammenfassung nicht jeder Wider- j Spruch geklärt, und jedes Detail herausgearbeitet werden. Dafür bietet sich dem Leser das faszinierende Bild vom Werden und Vergehen der Kulturen, ihrer Blüte und ihrem Verfall in vielfacher Ueberschneidung und Durchdringung. An den verschiedenen Formen des Wohnens und ihrer Bewertung läßt sich zugleich die Sozialstruktur der Völker des abendländischen Raumes, die Entwicklung in Stadt und Land, die Bedeutung der Stände in Glanz und Elend, Neben- und Nacheinander ablesen. Die Wohnung selbst wird, ausgehend von der primitivsten Form des Witterungsschutzes und Herdplatzes, in ihrer wechselnden Funktion als Refugium, Befestigung, Familiensitz oder Repräsentationsstätte gezeigt.

Die Eingliederung der Wohnung in größere Komplexe sowie die Unterteilung der Räume, vor allem aber die Ausstattung mit Geräten und Gebrauchsgegenständen, führen uns das Leben und Zusammenleben der Menschen von der Steinzeit bis in die Gegenwart, von den nur aus epischen Quellen bekannten Formen der Antike bis zur Mechanisierung des Wohnens in unserer Zeit vor Augen. Die vielen Abbildungen und das umfassende Sachregister machen dieses Buch nicht nur als Nachschlagewerk und Informationsquelle wertvoll, sondern weisen auch alle mit den Problemen des Wohnens und der Einrichtung Beschäftigten auf die wesentlichen und unveränderlichen Grundlagen und Erfordernisse der Gestaltung hin.

Richard N e u t r a s Buch „Mensch und Wohnen“ ist ein Werk ganz anderer Art, geschrieben aus der subjektiven Schau eines einzelnen, der ein Leben lang den „biologischen Realismus“ zum Grundsatz seines Sehaffens gemacht hat. Was er damit meint, lassen seine eigenen Worte am klarsten erkennen: „Architektur, vor allem Wohn-bau, ist Dienst am Menschen als Individuum und als Bestandteil einer Gruppe.“ Dieses Dienen will er als Anpassung an die biologischen Möglichkeiten des menschlichen Organismus, an dessen Funktionen und Reaktionen verstanden wissen. Da der Mensch durch seine Sinnesorgane die Umwelt aufnimmt, muß derjenige, der diese Umwelt gestaltet, auch auf diese Sinnesorgane Rücksicht nehmen.

Auch Neutra geht von den Urformen des Wohnens aus, auch er zeigt natur- und wesensbedingte Unterschiede, doch er weist auch auf die durch Technik und Transportmittel geschaffene Vereinheitlichung der Ansprüche und Möglichkeiten hin. Ueber alles aber setzt er die Bedeutung des Zusammenlebens in einer als Funktion der Umgebung wirkenden Harmonie, die den Menschen gesund und lebensfähig erhält. Die unlösbare Verbundenheit des Menschen mit seinem „habitat“ in viel weiterem als nur architektonischen Sinn und die wachsende Bedeutung dieser Tatsache für das Weiterleben in einer mechanisierten Welt hat Neutra schon in seinem Buch: „Wenn wir weiterleben wollen“ („Survival trough Design“; Verlag Ciaassen, Hamburg 1957) behandelt. „Mensch und Wohnen“ kann vor allem durch das reiche Photomaterial als Ergänzung dazu betrachtet werden. In Einzelbeispielen zeigt er die Lösungen, die er in den verschiedensten Teilen der Erde gefunden hat. Nicht nur die Planung des Hauses oder der Wohnung bis ins Einzelne beschäftigt ihn — er pflegt die Lebensgewohnheiten 'seiner Klienten genau zu studieren —, sondern auch die Einfügung in den natürlichen Rahmen der Landschaft oder die Probleme der „Nachbarlichkeit“ in der Stadt. Durch Form, Material und Farbe, Zusammenspiel von Raum und Fläche glaubt er nicht nur die Wohnung, sondern auch den Menschen selbst und sein Leben „entwerfen“ zu können.

So verschieden die Wege sind, die diese beiden Bücher weisen, die Erkenntnisse sind dieselben: Daß der Mensch zugleich Produkt und Gestalter seiner Umwelt ist, und am Beispiel der Vergangenheit wie aus dem Hinweis auf die Zukunft ergibt sich die ungeheure Verantwortung dessen, der diese Umwelt baut.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung