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St. Gabriel: Wo Patres Seelenvögel sammeln

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Völkerkunde, Sprachforschung und Religionswissenschaft betreiben die Ordensmänner. Rund 5.000 wertvolle Objekte umfaßt ihr Museum

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Völkerkunde, Sprachforschung und Religionswissenschaft betreiben die Ordensmänner. Rund 5.000 wertvolle Objekte umfaßt ihr Museum

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Heute werden auf Neuguinea, der zweitgrößten Insel der Welt und fünfmal so groß wie Österreich, die einstmals alles Leben bestimmenden Ahnenfiguren nur noch für souvenirhungrige Touristen geschnitzt. Ausgestorben ist der Ahnenkult, für den die reich dekorierten Figuren hergestellt worden sind, dennoch nicht. In dem für Niederösterreich so untypisch roten Ziegelbau von St. Gabriel in Maria Enzersdorf bildet die von den Missionaren des Hauses zusammengetragene Sammlung der Kultgegenstände der letzten Steinzeitmenschen den Schwerpunkt des Missions-Eth-nographischen Museums.

Nicht zufällig. Schließlich zählt die am Westrand des Pazifiks gelegene Insel nach China zu den ältesten Missions- und Forschungsgebieten der Patres und Brüder der Gesellschaft des göttlichen Wortes (So-cietas Verbi Divini, SVD). Schon 1896 gingen Ordensangehörige in den nordöstlichen Teil (Kaiser-Wilhelm-Land) Neuguineas, um gemäß der Devise des Gründers von St. Gabriel, P. Arnold Janssen - „Nur wer die Kultur des Menschen, ihre Ausdrucksformen und Anschauungen kennt und schätzt, findet die rechte Sprache" - die Eingeborenen zu missionieren.

Von Anbeginn erhielten deshalb die Novizen im 1889 erbauten Missionshaus eine auf ihre spätere Tätigkeit ausgerichtete Ausbildung. Durch P. Wilhelm Schmidt, den großen Völkerkundler, Sprachforscher und Religionswissenschaftler, den Mitbegründer der historischen Völkerkunde und ersten Vorstand des Instituts für Völkerkunde der Wiener Universität, wurde in St. Gabriel auch Linguistik und Ethnologie gelehrt. Seine berühmtesten Schüler wurden P. Martin Gusinde, P. Wilhelm Koppers und P. Paul Schebesta SVD, die Erforscher der Feuerlandindianer beziehungsweise der Pygmäen Afrikas.

Die Basis für das Missions-Ethno-graphische Museum von St. Gabriel wurde um 1900 gelegt. Nach Enteignung des Missionshauses durch die Nationalsozialisten und Eingliederung der Exponate in das Wiener Völkerkundemuseum, beziehungsweise Rückerstattung der meisten Wertobjekte, umfaßt die Sammlung jetzt rund 5.000 Einzelstücke. In den

Schauräumen kann nur ein Bruchteil gezeigt werden.

Gegliedert ist die Schausammlung entsprechend den Arbeitsfeldern der Missionare in die Kulturkreise von China, Japan, Indien, Indonesien, Papua-Neuguinea, Lateinamerika und die Länder Afrikas südlich der Sahara sowie des Insel-reich der Philippinen.

Im ersten Raum, der dem Reich der Mitte und der Religion des friedlichen Buddhismus sowie der Lehre des tugendsamen Konfuzius und des meditativen Taoismus gewidmet ist, besticht die schmiedeeiserne Figur eines Bodhisattva. Aus dem Jahr 1378 stammend, ist sie die einzige Bodhisattva-Skulptur, die Österreich aus dieser frühen Zeit besitzt. Sehr interessant: die mit unzähligen Symbolen geschmückten Seidenstickereien, Schnitzereien, Lackarbeiten und Porzellangefäße.

Ein beredtes Zeugnis für die Missionserfolge der Patres gibt eine Schnitzlackarbeit aus der 1933 gegründeten Abteilung für christliche Kunst in der katholischen Universität Fu Jen in Peking wieder, eine Madonna mit Kind darstellend.

Der Japanraum birgt neben einer Auswahl von Farbholzschnitten und einer kunstvoll verzierten Emailvase Modelle von Häusern in traditioneller Bauweise sowie Objekte des Alltags und des Krieges. Ein berührendes Dokument ist ein „Tretkreuz" aus dem 17. Jahrhundert, als das Christentum verfolgt und lediglich Holländern und chinesischen Kaufleuten das Recht zugestanden wurde, in Nagasaki Handel zu treiben.

Im Indienraum stehen mannigfache Exponate der Hindukultur. Die Einwurzelung christlichen Glaubens belegen Fotos von P. Georg Proksch, der in Anknüpfung an den hohen Stellenwert von Musik und Tanz in Bombay die Tanzgruppe „Gyan-Ashram" gegründet hat. Sie tanzt mit traditionell indischen Stilmitteln das christliche Evangelium.

Indonesien bildet in der räumlichen Gliederung des Museums den Übergang von den Hochkulturen zu den naturvölkischen Kulturen. Den Papua-Neuguineas sind zwei Räume gewidmet. Hervorgehoben seien ein von einem Geisterhaus stammender geschnitzter Seelenvogel, der den Verstorbenen in das Reich der Ahnen tragen sollte. Die afrikanischen Länder und Feuerland werden zumal durch die Privatsammlung von P. Martin Guisinde vorgestellt. Hervorgehoben sei ein alter Fetisch — ein Gegenstand, der nach der Vorstellung der Afrikaner übernatürliche Kräfte enthält und darum religiöse Verehrung genießt.

Das Missions-Ethnographische Museum ist nach telefonischer Anmeldung zu besichtigen (Tel. Nr. 02236/46 351/221).

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