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Wenn Gott das Haus nicht baut

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Mißt man die 100 Jahre Steyler Missionsarbeit an den Leistungen der großen missionarischen Orden, etwa der Benediktiner, Dominikaner, Franziskaner und Jesuiten, so ist auch bei einem solchen Jubiläum Bescheidenheit am Platze.

Zur rechten Zeit

Das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert brachte neben einer bis da nicht gekannten schnellen Entwicklung in Technik, Indu-

strie und Verkehr eine Explosion der Enllbevölkerung. Hatte diese fast 10.000 Jahre benötigt, um van 5 MU-lionen (8000 v. Chr.).auf 1. Milliarde (1850 n. Chr.) zu wachsen, so erreichte sie bis 1975 beinahe die 4-Milliar-den-Grenze.

Vielleicht ist es erlaubt, die Bedeutung auch der Steyler Gesellschaft gerade darin zu sehen, in dieser intensiven Entwickluingsperiode so erstaunlich viele Helfer der kirchlichen Mdssiansarbeit zugeführt zu haben.

Die Gründung

Am 19. Oktober 1975 wird Arnold Janssen, der Stifter der Societas Verbi Davimi (albgekürzt: SVD — Gesellschaft des Göttlichen Wortes — das ist der kirchliche Name der Steyler), zusammen mit seinem ersten Ohinamissdonar, dem Südtiroler Pater Josef Freinademetz, seliggesprochen werden.

Janssen hatte von denjenigen, die sich seiner Gemeinschaft anschlössen, das Streben nach persönlicher Heiligung, das heißt: ein Leben nach dem Willen Gottes, als Voraussetzung für gute Arbeit verlangt. Gottes Wille war für ihn maßgebend bei dar Gründung der Gesellschaft mitten im preußischen Kulturkampf und der Übernahme aller späteren Aufgaben. „Wenn der Herr das Haus nicht baut“, pflegte er zu sagen, „bauen die Bauleute vergebens.“

Pater Josef Freinademetz schrieb nach seiner Ankunft in Steyl, im August 1876, an seine Eltern: „Das Haus hier dst wirklich ein Haus Got-' tes... Ich habe noch niemals etwas Ähnliches gefunden, weder im Cas-sianeuim noch im Seminar in- Bri-xen... Ich kann hier vieles lernen, vor allem christlich zu leben.

In Armut

So begann Janssen auch das (rein wirtschaftlich gesehen) anspruchsvolle Werk ohne „Konto“ mitten in der Wirtschaftskrise der ^Oer-Jahre. Ein Jesuit aus Linz sandte ihm 30 österreichische Gulden, die armen Clarissen aus Düsseldorf 9000 Mark, eine Dienstanagd 2000 Mark. Diese letztere Summe vermittelten die Düsseldorfer Franziskaner, obwohl sie das Geld dringend für sich selbst benötigt hätten, da sie kurz vor der Verbannung aus Preußen standen.

Typisch für Arnold Janssen war sein jahrelang benutzter Schreib-

tisch, eine Truhe mit einem großen Deckel darauf. Diese Kiste war zugleich sein Bett. Glich der Anfang seiner Gründung für den, der sie nicht! mit den Augen des Glaubens sah, einer finanziellen Hochstapelei, so gilt doch das Wort eines Mainzer Prälaten: „Das Erstaunliche an diesem Mann ist die Tatsache, daß Gott alle seine Rechnungen bezahlt hat.“

Als bei der Übersiedlung der ersten Schüler aus dem Mutterhaus

Steyl in das neugegründete Sankt Gabriel noch nicht genügend Betten vorhanden waren, schrieb er dem danialigen-Leiter des, HaiASfi.s, ^'i^rn leiblichen Bruder Pater Johannes Janssen: „Ein Missionar muß auch auf dem Boden schlafen können. Sorge nur, diaß Decken genug da sind.“

In Österreich

Zeit seines Lebens blieb Sankt Gabriel eines der Lieblingshäuser

des Steyler Gründers. Auch hier zunächst eine Fülle von Schwierigkeiten: Verhandlungen mit den -Ministerien, Audienzen beim Kaiser, Aufgabe seiner preußischen und Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft bis zu der am 14. Oktober 1888 erreichten Erlaubnis für „die Einführung der Gesellschaft des Göttlichen Wortes in die österreichische Reichshäiifte der Monarchie“.

Bei der Grundsteinlegung von St. Gabriel am 19. März 1889 sagte Arnold Janssen zu den drei Haramer-schlägen: „Zur größeren Ehre und Verherrlichung des Heiligen Geistes und des Gottes der ewigen Liebe! Zur Wohlfahrt unserer heiligen Mutter, der katholischen Kirche, und zur Verbreitung ihres Heiles und ihrer Segnungen auf die Völker, welche sie noch nicht kennen! Zum geistigen Nutzen dieser Gegend und dieses von Gott geliebten Reiches!“

Der Gründung von St. Gabriel folgten in Österreich 1904 die des Missionshauses St. Ruprecht in Bischofshofen, 1931 das Missionshaus St. Severin zw Fürstenfeld und 1971 die Niederlassung in Dornbirn (Vorarlberg).

Von St. Gabriel (das gemäß dem neuen staatlichen Hochschulgesetz seit 1972 philosophisch-theologische Hochschule ist) gingen entscheidende geistige Impulse auf die gesamte Steyler Missiansgesellschaft aus. Durch lange Jahre hindurch war es die zentrale Aüsbildungsstätte für den Priesternachwuchs der SVD im europäischen Raum und zählte zeitweilig gegen 500 Theologiestudenten.

Das 1906 von Pater Wilhelm Schmidt in Mödling gegründete internationale Anthropos-Institut setzte sich nach Schließung des Hausas 1941 in die Schweiz ab und arbeitet heute im Verbund mit der theologisch-philosophischen Hoch-

schule'der SVD in St. Augustin bei Bonn.

Die Steyler .MissionsgeseMischaft zählt 1975: 1179 .Brüder, 320 Novizen, 632 Scholastiker, 3135 Patres; 4056 Gymnasiasten bereiten sich in den ordenseigenen Schulen auf den Missionarsberuf vor. Das Personalverzeichnis der SVD weist 1974 5Erz-bischöfe, 15 Diözesanbischöfe, 1 Apostolischen Vikar im Bischofsrang, 3 Prälaten im Bischofsrang, fünf Titiularbischöfe und 1 apostolischen.

Administrator im Bdschofsrang auf. Derzeit arbeitet die Steyler Gesellschaft in 31 Ländern.

Ziel einer jeden ÄftsqiiOtvagieseü-,, scbaft mußafts, se^sjgh uber^üs^ zu machen, das heißt von Beginn ihrer Arbeit an die einheimische Kirche so aufzubauen, daß sie selbständig leben und sich verwalten kann. Diesem Bemühen entsprechend, gingen beispielsweise aus dem 1925 zu Vigan auf den Philippinen durch die SVD übernommenen Weltpriesterseminar bis heute etwa 400 Priester hervor. Zwischen 1970 und 1974 betrug der Priesternaehwuchs der SVD allein auf den Philippinen 80 Kleriker. In Indonesien bereiten sich 102 Steyler Scholastiker und 8 Welt-priester-Semiinairisten auf das Prie-stertum vor. 1970 gehörten bereits 78 indische Patres der Gesellschaft an. Zwischen 1970 und 1974 wurden 35 Patres geweiht.

Mit dem Heranwachsen des einheimischen Klerus beginnt zwangsläufig eine Umschichtung der Arbeit für die europäischen Missionare, insofern sie von den führenden Positionen auf dienende Posten zurücktreten und damit erst recht jener Katholizität der Kirche Ausdruck geben, in der der Glaube keinen Unterschied kennt zwischen Rassen und Nationen. i

Außergewöhnlich hohe Verluste

Im Missiqnspriesterseminar Sankt Augustin war jahrelang eine Galerie bedeutender Männer der SVD zu sehen. Unter den großformatigen Photos standen Hinweise wie: „Lebendig begraben, erschlagen, an den Strapazen des Gefängnisses gestorben, im Internierungslager umgekommen, im Meer ertränkt.“

Als Arnold Janssen das Ordensgewand seiner Gesellschaft entwarf, ließ er den Gürtel auf der Innenseite mit rotem Stoff versehen, um jedem, der ihn trug, deutlich zu machen, daß ein Missionar bereit sein müsse, im Zeugnis für den Glauben jederzeit, in Mission oder Heimat, das Leben daran zu setzen. Ob man unter die zahlreichen Opfer, die mitten in ihrer Missionsarbeit eines gewaltsamen Todes starben, auch die vielen Toten der Südsee rechnen muß, die im Zweiten Weltkrieg durch die japanischen Bajonette und Maschinengewehre umkamen (obwohl die Mörder politische Verbündete des Deutschen Reiches waren), weiß Gott allein. Von ihnen allen aber gilt

lertullrans Wort: „Das Blut der Glaubenszeugen ist der Same neuer Christen.“ Wir möchten mit Hinblick auf die Zukunft sagen: „Der Same neuer Berufungen.“

Vom Zeitgeist geschüttelt

Das Bild der Gesellschaft des Göttlichen Wortes weist im Jahre ihres, 100jährigen Bestehens je nach Ländern überraschend große Gegensätze auf. Da gibt es überfüllte Missionshäuser und Seminare in Übersee, eine sehr lebendige polnische Provinz (sie entsandte 1971 66 Missionare, 1972 74 und 1973 gar 32).

Das von Arnold Janssen selbst begonnene und für die Missionsarbeit so wichtige Steyler Presseapostolat konnte sich vor allen Dingen im deutschen Sprachraum bis zur Stunde gut behaupten.

Die Sorgen der Steyler Gesellschaft in Deutschland und Österreich sind die Auswirkungen des Zeitgeistes auf ' die Stätten ihres Nachwuchses. Die Zahl der Priester und Ordensberufe ging so sehr zurück, daß die großen deutschen Steyler Gymnasien neben der kleineren Zahl der Internatsschüler Studenten und Studentinnen aller Berufsrichtungen aufnehmen mußten, um überhaupt die Existenz der Schulen zu sichern. Daß Koedukation nicht in jedem Falle ein geeignetes Mittel ist, um solche junge Menschen heranzubilden, die das persönliche Leben gewissermaßen im „Alleingang“ als Missionare durchzustehen haben, dürfte außer Frage stehen. Die sehr kleine Zahl derer, die nach erlangtem Abitur trotz relativ großer Abschlußklassen in die beiden Priesterseminare Sankt Gabriel und St. Augustin „eintreten“, stimmt nachdenklich.

Aber auch innerhalb der Häuser hat' sich der Geist gewandelt. Die autoritäre straffe Führung früherer Generationen ist einer liberalen demokratischen Lebensform gewichen. Diese kann aber nur dann eine Gemeinschaft befähigen, die in großer Dichte auf sie zukommenden Forderungen der Zeit zu bewältigen, wenn es ihr gelingt, trotz der Öffnung nach außen1;1' Kbnzfehtrlert an ihren Zielen zü“ arbeiten“'ündy* was -'das Fundamentalste ist, ein wirkliches Gebetsleben zu führen. Ob man dabei die abendliche „Andacht“ durch die Fernsehinformation und das

aszetische Schweigen durch häufigere Gesprächskontakte zum Besseren hin ersetzen kann, sei dahingestellt.

Natürlich wäre das Problem zu einfach gesehen, wollte man das personelle Schrumpfen der heimischen Missionsbasis vornehmlich mit dem gewandelten Geist innerhalb der Missionhäuser erklären. Die Poblematik umfaßt in ihren Gründen ebenso die Situation der modernen Kleinstfamilie, die moralische Erweichung der Wohlstandsgesellschaft wie auch das neuzeitlich unsere Jugend treffende Angebot vieler früher nicht gekannter Möglichkeiten und Ideale eines sozialen Einsatzes bis hin zur staatlichen und kirchlichen Hilfe für die Dritte Welt und zum Entwicklungshelfer unserer Tage.

Mission in Frage gestellt?

Darüber hinaus wird heute nicht selten die gesamte Missionsarbeit von ihrem Sinn her in Frage gestellt. Die Kirche selbst hat im 2. Vatikanischen Konzil eine sehr anerkennende Haltung den nichtchristlichen Religionen gegenüber eingenommen. Wozu also „Heiden“ bekehren?

Dazu ist folgendes zu sagen: Letzten Endes bleibt christliche Mission eine Frage des Glaubens in die Vollendung des Menschen in Christus. Es geht nicht um den minimalen Standpunkt des „Gerettetwerdens“, sondern um die maximale Sicht des ganzen Menschen, der in Christus Gott und Mensch zugleich ist, und nur so — trotz seiner geschöpflichen Begrenzung und der damit gegebenen Möglichkeit des Abfalls vom Guten — in der Kraft Gottes zu souveräner Freiheit über sich und die Welt gerufen ist.

Mission bleibt Gottesdienst am Menschen von Kirche zu Kirche, sie wird in gegenseitiger Liebe so lange bleiben wie die Kirche selbst.

Die Gesellschaft des Göttlichen Wortes dürfte ihren Dienst an den jungen Kirchen in Ubersee auch in Zukunft mit Erfolg leisten können, wenn sie die Seligsprechung ihres Gründers Arnold Janssen und ihres. ersten “Chinamissiönars, Josef Frei-1 nademete,- nicht als eine kirehlie*^ Dekoration, sondern als Rückbesinnung auf den programmatischen Glaubensgeist ihres Ursprungs begreift.

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