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Dreimal das größere Österreich

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Drei neue "österreichische" Selige: Maria Theresia Ledóchowska, Arnold Janssen und Josef Freinadametz.

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Drei neue "österreichische" Selige: Maria Theresia Ledóchowska, Arnold Janssen und Josef Freinadametz.

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Österreich, das in der Welt den Ruf eines besonders katholischen Landes genießt, besitzt nur sehr wenige kanonisierte Heilige. Eigentlich nur einen einzigen, nämlich den heiligen Clemens Maria Hofbauer. Der Kult fast aller übrigen wenigen Heiligen wurde auf Grund ihrer jahrhundertelangen Verehrung im Volk gestattet. Der Österreicher ist auch im religiösen Bereich kein Nationalist und denkt auch hier übernational. Die großen Heiligen der Kirche stehen ihm deshalb ebenso nahe wie die wenigen eigenen.

Nun aber kann der Österreicher sich der Hoffnung hingeben, daß in relativ kurzer Zeit dieses Land drei neue kanonisierte Heilige besitzt. Auf Grund des vorgeschriebenen Prozesses wurden Gräfin Maria Theresia Ledóchowska, P. Josef Freinademetz und P. Arnold Janssen seliggesprochen. Am Missionssonntag dieses Jahres nahmen Tausende von Österreichern unter der Führung des Kardinals Dr. König und der Erzbischöfe Dr. Berg und Dr. Jachym.und der Bischöfe Dr. Žak, Dr. Wechner und Dr. Wagner an den Seligsprechungsfeierlichkeiten in Rom teil.

Aber schon vor und auch nach den Feierlichkeiten gab es einige nicht schöne Töne, die sich unter den Jubel mischten. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, daß die drei Seliggesprochenen eigentlich gar keine Österreicher seien.

Gräfin Maria Theresia Ledóchowska, die 1863 in Loosdorf in Niederösterreich geboren wurde und 1922 in Rom starb, kam väterlicherseits aus einem uralten polnischen Geschlecht und mütterlicherseits aus einem fast ebenso uralten schweizerischen, nämlich aus der Familie von Salis. Ihr Bruder, Wladimir, war der bekannte Jesuitengeneral, der nach Absolvierung des Theresianums und Jusstudien an der polnischen Universität in Krakau (das damals österreichisch war) in den Jesuitenorden eintrat und von 1915 bis 1942 den Orden als General von Rom aus regierte.

Der Onkel der seliggesprochenen Gräfin Ledóchowska war der berühmte Kardinal Ledóchowski, der als Erzhischof von Gnesen den besonderen Zorn Bismarcks erregte, da er im Kulturkampf die Rechte der Kirche verteidigte und außerdem die Rechte des polnischen Volkes im preußischen Staat, der seine zwei Millionen polnischer Untertanen schamlos germanisierte. Bismarck ließ ihn verhaften und absetzen, Pius IX. ernannte ihn im Gefängnis zum Kardinal. Nach seiner Freilassung verwaltete er noch von Rom aus sein Bistum und wurde 1892 Chef der Propaganda Fidei. Ist somit Maria Theresia Ledóchowska, die aus nicht näher bekannten Gründen in Niederösterreich geboren wurde, wirklich als Österreicherin zu betrachten?

Der zweite Seliggesprochene ist Arnold Janssen, geboren 1837 im Rheinland, gestorben 1909 in Steyl, Gründer der Gesellschaft vom Göttlichen Wort, einer der bedeutendsten Missionsgesellschaften der modernen Zeit. Im deutschen Kulturkampf mußte er zusammen mit den Jesuiten, Redemptoristen und Beuroner Benediktinern Deutschland verlassen und gründete im holländischen Steyl das Mutterhaus seiner Missionsgesellschaft. Kaiser Franz Joseph, der den Beuroner Benediktinern in Emaus in Prag und in Seckau in der Steiermark, eine Zufluchtsstätte gestattete und der auch zuließ, daß Bayern (darunter die berühmten Patres Kolb und Bichlmayr) in die Österreichische Provinz der Gesellschaft Jesu eintraten, erlaubte, daß Pater Arnold Janssen in St. Gabriel bei Mödling eine Niederlassung der neuen Missionsgesellschaft ins Leben rief. Um diese Gründung besser durchführen zu können, erwarb Pater Janssen die österreichische Staatsbürgerschaft, Ist er aber deshalb wirklich schon ein Österreicher und können tatsächlich die Österreicher diesen neuen Seligen für sich reklamieren?

Und der dritte Selige ist Josef Freinademetz, geboren 1852 in Südtirol, gestorben 1908 in China. Nachdem der unselige Ritenstreit im 17. und 18. Jahrhundert die so erfolgreich begonnene Christianisierung Chinas zerstört hatte, begannen im späten 19. Jahrhundert neue Versuche einer Missionierung Chinas. Als Freiademetz in China eintraf, hatte seine Gemeinde nur 150 Mitglieder. Als er starb umfaßte sie schon 50.000. Mit ihm begann eine neue verheißungsvolle Missionierung des Reiches der Mitte, die erst durch die Machtergreifung des Kommunismus in China wieder unterbrochen wurde. Aber Freinademetz ist ein Ladiner aus Südtirol, nicht einmal ein deutschsprachiger Südtiroler. Kann deshalb Österreich diesen neuen Seligen ebenfalls für sich reklamieren?

Es ist tragisch, daß gerade in einem solchen Augenblick der Nationalismus wieder späte Blüten treibt. Und daß vergessen wird, daß das alte Donaureich ein Vielvölkerstaat war und daß viele seiner berühmtesten Kinder nur Wahlösterreicher waren.

Natürlich war Gräfin Ledóchowska eine halbe Polin und eine halbe Schweizerin. Aber war der Ministerpräsident Österreichs Graf Badeni nicht auch ein Pole? Und waren nicht Millionen von Polen, die in Galizien lebten, treueste Österreicher?

Natürlich ist Pater Janssen „nur“ ein Wahlösterreicher. Er kam aus dem Rheinland, aber aus dem Rheinland kamen auch Metternich, Beethoven, der berühmte Historiker der Päpste und erste Gesandte der Republik Österreich beim Vatikan, Ludwig Freiherr von Pastor. Waren diese keine guten Österreicher?

Natürlich ist Freinademetz ein Ladiner und kein Deutsch-Südtiroler. Aber sind Prinz Eugen oder Montecuccoli, Piccolomini und wie all die anderen berühmten Italiener in österreichischen Diensten hießen, nicht auch Romanen gewesen?

Wer nach den engen Gesichtspunkten des Nationalismus die österreichische Geschichte betrachtet, der kann die schönsten (und besten Kapitel aus der Geschichte Österreichs- streichen.

Dann bleibt von der gesamten österreichischen Geschichte nicht mehr viel übrig. Dann muß man vielleicht alle berühmten Österreicher wieder „ausbürgern“ und übrig bleiben mögen vielleicht nur „der Herr Karl“. Aber dieser hat kaum Chancen, selig- oder gar heiliggesprochen zu werden.

Wer die Gräfin Ledóchowska oder Pater Freinademetz oder Pater Janssen zu ihren Lebzeiten gefragt hätte, ob sie sich denn als Österreicher betrachteten, der wäre wahrscheinlich nur auf erstaunte Blicke gestoßen. Sie hätten diese Frage gar nicht verstanden, so sicher haben sie sich als Österreicher gefühlt. Und so kann denn das heutige Österreich, das doch irgendwie ein Erbe des alten ist, sich glücklich fühlen über diese neuen Seliggesprochenen.

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