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Die Barockknstlerin

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In einem der stillsten Gäßchen der ober-österreichischen Hauptstadt lebt und arbeitet Enrika von Handel-Mazzetti, die am 10. Jänner 1946 ihren .75. Geburtstag feiert. Ihre Ahnen stammen aus edlen Geschlechtern Deutschlands, Hollands, Italiens und Ungarns und fanden zu Napoleons Zeiten in Österreich eine dauernde Heimat. Aus dem Werk der Dichterin aber spricht eine Verwurzelung in der österreichischen Heimat, die sie als eine der repräsentativsten Gestalten der österreichischen Dichtung erscheinen läßt. In diesem Sprößling so vieler, aus verschiedenen Völkern kommender Geschlechter mußte ein stark entwickeltes geschichtliches Interesse lebendig sein. Aus ihrer Familiengeschichte sollte Enrika Handel-Mazzetti sich dem historischen Roman zuwenden. Heute bereits ist sie in die Geschichte der deutschen Literatur als die Meisterin des großen katholischen österreichischen Barockromans eingegangen.

Enrika von Handel-Mazzetti ist aus dem Innersten ihres Wesens Barockkünstlerin. In ihren Dichtungen ist das Barocke kein Kostüm, sondern das Wesentliche. Die Dichterin erscheint manchmal in so starkem Maße in ihrem Fühlen und Denken als ein Mensch mit der Seele des 17. Jahrhunderts, daß man schon verstehen kann, daß manchem Menschen der Zugang zu ihrem Werke verschlossen b'eibt. Wer aber einmal versucht hat, die Dichtungen Handel-Mazzettis aus der Lebensmitte der Künstlerin zu verstehen, wird auch von der Größe ihrer Kunst ergriffen werden.

Enrika Handel-Mazzetti hat einmal selbst zu dem Vorwurf, ihre Romane offenbarten eine Neigung zu Greuelepochen, Stellung genommen: „Wenn ich in meinen Dichtungen“, so meinte sie, „den Haß versunkener Jahrhunderte und seine Zerstörungstaten immer wieder schildere, so geschieht dies niemals aus Lust am Bösen, sondern nur, um im schwelenden Dunkel „ jener alten Mordnächte das Licht der katholischen Liebe um so wundersamer aufstrahlen zu lassen. Hätte ich die blutigen Geschichten, die ich geschildert habe, mit leiblichen Augen anschauen müssen, sie hätten mich innerlich zerbrochen und zermalmt.“ Die Dichterin läßtuns mit diesen ihren Sätzen in den innersten Bezirk ihrer Seele blicken. Sie zeigt, wie stark der Zwang gewesen ist,nnter dem sie ihre großen BarockwerK verfaßt hat.

Eine wichtige Station auf dem Lebenswege der Künstlerin dürfen wir nicht vergessen, wenn wir ihre Eigenart als Romandichterin verstehen wollen: den Aufenthalt im Institut der Englischen Fräuleins in St. Pölten. „Gäbe es keine Klöster“, so sagt sie einmal, „so gäbe es auch keine Poesie.“ Tatsächlich reifte im Kloster ihre tiefe und energische Glaubenskraft, die mit nicht zu hemmender Gewalt überall in ihrem Werke hervorquillt und mitreißt. Ein glutvolles Innenleben ist der Mutterboden ihre Schaffens, befähigt sie, das Zeitalter der Gegenreformation im historischen Roman zu zeichnen. Die Dichterin hat einmal davon gesprochen, daß ihre Seele schon früh von religiösen Streitfragen durchdrungen wurde und daß die religiösen Typen, die sie darstelle, in ihren einfachsten Linien schon in ihrer Kindheit von ihr erlebt worden sind.Enrika von Handel-Mazzetti nennt sich selbst Volksepikerin und sie ist es in der Tat. An der Bibel, am Nibelungenlied, an Dante hat sie gelernt und unter dem Zei-chen dieser großen Vorbilder ist sie an die Themen der Barockzeit in ihren Romanen herangegangen. Die Menschen in ihren Werken sind von heißer Sehnsucht nach Wahrheit getrieben, echte Barocknaturen in ihren Höhen und Tiefen. Die Dichterin scheut vor der Darstellung auch des Gräßlichen nicht zurück, denn das Schöne wird um so leuchtender, der harmonische Ausklang um so friedvoller empfunden, je schriller vorher die Dissonanz, je häßlicher das Gegenbild war. Es ist eine herbe und leuchtende Kunst zugleich, die uns in den Werken der österreichischen Dichterin entgegentritt. I

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