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MIT MEHREREN VATERLÄNDERN

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Wenn das Wort Hölderlins, daß das, was bleibt, die Dichter stiften, seine Richtigkeit hat, so ist auch uns aufgetragen, dieses Bleibende zu hegen, damit da Licht künstlerischer Verkündigung heller und größer erstrahle. Paula von Preradovic, die vielleicht so mancher nur als Dichterin der österreichischen Bundeshymne kennt, hat uns ein zweifaches Erbe hinterlassen: das reife literarische Werk eines ereignisreichen Lebens und dieses Leben selbst, das Kritiker wiederholt und nicht zufällig ein Kunstwerk für sich genannt haben, weil Paula von Preradovic es wie kaum jemand verstanden hat, Leben und Werk aus einer Wurzel heraus zu gestalten und in seltener Harmonie zu vereinen — eine Lebensgestaltung, die dem modernen Menschen leider nicht mehr Selbstverständlichkeit ist. Das Ergriffensein von der „organischen Lebensform“, aus der heraus der Mensch erst sich selbst nach eigenen Wachstumsgesetzen zu verwirklichen vermag, war ihr stets das erstrebenswerteste Ziel. An einem Tirolaufenthalt im Jahre 1932 rühmt sie „Zusammenhang und Eintracht mit den ewigen Dingen“.

Aus diesem menschlichen Selbstverständnis heraus erwächst der Dichterin auch ihr Geschichtsbild. Das historische Geschehen ist ihr immer und überall Auswirkung von Ideen, die einer Zeitepoche immanent sind. In ihren Prosawerken hat sie bedeutsame Wendepunkte in der allgemein-geschichtlichen Entwicklung aufgezeigt. Da ist einmal der Einbruch des Christentums im 6. Jahrhundert, wie er in der „Versuchung des Columba“ deutlich wird, da ist weiters der Schatten jenes gewaltigen

ZüsamuMnbruchs dries , Viclyölkcr5jtaa|es, der bereits düster über de Familienroman „Pavc und Pero“. lasset;-schließlich,.,ist; da auch die, wenn auch nicht endgültige, aber doch geschichtlich hochbedeutsame Orientierung der kroatischen Küstenländer nach dem Westen und damit ihre Eingliederung in den abendländischen Kulturkreis.

Gerade dieses letztere historische Ereignis, das der „Königslegende“ zugrundeliegt, vermag tiefen Einblick in die dichterische Welt Preradovic' zu gewähren und auch ihr persönliches Lebensschicksal einigermaßen zu erhellen. — König Slawatz, ein Kroatenfürst, wird von päpstlichen Söldnerheeren gefangen und auf eine einsame Insel gebracht, wo er sich erst nach lahre währenden sturmhaften Kämpfen zu Verzicht und Einsicht durchringt, daß er und sein Land dem katholischen Westen zugehören, und nicht jener fremden byzantinischen Macht.

Bisher unveröffentlichte, zum Teil noch in Privatbesitz befindliche Briefe der Dichterin an Enrica von Handel-Mazzetti, Camilla Lucerna und andere Persönlichkeiten eröffnen motivgeschichtlich hochinteressante Einblicke in die Entstehung der „Königslegende“. An Handel-Mazzetti schreibt sie am 15. November 1950:

Mein guter Vater, der ja im Grunde seines Wesens Historiker war, hat, als ich ah junges MädcUen in Pola lebte, lahrelang diesem verschollenen König nachgeforscht und schließlich in den „Mitteilungen auf dem Gebiete des Seewesens“ (der Revue der österreichischen Marine) in einem kurzen wissenschaftlichen Aufsatz die Ergebnisse seiner Forschungen veröffentlicht. Bei den kroatischen Historikern haßt es übereinstimmend, „man hörte nie mehr von ihm“, und sie nehmen an, der König sei durch die Normanneu getötet worden. Mein Vater jedoch hatte eine in dem oben zitierten Aufsatz allerdings nicht erwähnte Theorie, zu der^ihn das Auffinden dunkler Spuren berechtigte und von der ich aus mündlichem Gespräch wußte, daß der König nach seiner Besiegung nicht gestorben, sondern auf eine kleine Insel der westlichen Adria gebracht worden sei, auf der er noch lange gelebt habe.

Leider wissen wir nicht, welcher Art diese Theorie war, von der die Dichtetin nur aus Gesprächen wußte; entscheidend aber ist, daß der erwähnte Artikel ihres Vaters von peinlicher wissenschaftlicher Genauigkeit ist und daß sich Paula von Preradovic in allen wesentlichen Punkten daran gehalten hat. Darnach ver-aniaßte also Gregor VII., der große Papst aus der Zeit des Investiturstreites, die Normannen im Jahre 1076, sie sollten die Kroaten samt ihrem König gewaltsam in den Schoß der römischen Kirche zurückführen. Das gelang ihnen erst, nachdem sie den erbitterten Widerstand des Königs Slawatz (oder Slavic, wie er bei DuSan Preradovic genannt wird) gebrochen hatten.

Die ersten konkreten Pläne dieser „Königslegende“ reichen in die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg zurück. Einige Jahre später, am 31. Jänner 1949, berichtete die Dichterin an Dr. Elza Kucera, eine Freundin in Zagreb: „Was mich betrifft, so bin ich eben dabei, meine Legende vom König Slavac zu

vollenden. Ich bin höchst gespannt, was ihr dazu sagen weidet.“ In diesen Jahren reifte das sozusagen Sichtbare an diesem literarischen Kunstwerk. Die unbestimmten Pläne reichen jedoch einige Zeit zurück. In diesem Zusammenhang ist ein Brief interessant, den die Dichterin am 19. Mai 1944 an Camilla Lucerna sandte:

Nun noch eine zünftige Frage, liebste Camilla. Im Herbst las ich in der kleinen, aber sehr lebhaften „Geschichte des serbischen Volkes“, die die Talvij ihren Volksliederübertra-gungen voraussetzt, einen Passus, der mich tief entzündet. Sie erzählt, daß der Nemanjide Stefan Uros I. (die Nemanjiden sind ein serbisches Königsgeschlecht, die sich nach ihrem Ahnherrn benennen, Anm. des Verf.) seinen Sohn Miluiin mit Anna, der Tochter des Kaisers Michael Paleologus, verheiraten wollte. Die Werbung wurde angenommen, und die Prinzessin reiste mit dem griechischen Patriarchen heran. Vorausgesandt wurden einige hohe Geistliche, die den Zustand des serbischen Hofes und den der Prinzessin zugedachten Empfang prüfen sollten. Sie fanden beides jämmerlich und unwürdig, waren überdies über das Benehmen des Königs, der sie wegen ihres zeremoniösen Auftretens grob verspottete, gekränkt, und da überdies unverschämte Forderungen an den Kaiser, von denen zuvor nicht die Rede gewesen war, laut wurden, kehrte der Patriarch mit der Prinzessin um, und die Heirat kam'nicht zustande. Prof. Jagoditsch meint, die Talvij habe die neuen Quellen nicht gekannt, es habe gar kein krasser Kulturgegensatz zwischen den beiden Höfen bestanden. Mich ha: aber gerade das Aufeinanderprallen der beiden Kulturen, der jungen serbischen und der überalterten byzantischen, lebhaft gepackt, und ich hatte große Lust, es novellistisch tu gestalten. Jirecek (ein serbischer Historiker, Anm, des Verf.) erzählt diese Heiratsgeschichte sehr ähnlich, führt aber an, er habe sie aus einer unverläßlichen byzantischen Quelle (ich glaube, der betreffende Chronist heißt Pachymeres). Wahrscheinlich hat die springlebendige Talvij, die ich wie eine Schwester liebe, dieselbe Quelle gekannt und nacherzählt. Mich interessiert nur der Gegensatz, das Aufeinanderprallen, durch das die Vereinigung zweier Herzen und Schicksale zerstört wird. Wurde die Heirat nur aus politischen Gründen vereitelt, so mag ich das Ganze nicht schreiben. Ich glaube aber, es muß ein ganz ungeheurer Gegensatz gewesen sein, denn die Serben des 13. Jahrhunderts waren doch gewissermaßen Neureiche, die Byzantiner derselben Zeit Erben einer uralten, überfeinerten Kultur. Kannst Du mir ohne. grojJe Mühe irgendwelche Hinweise geben, die diese Frage beleuchten könnten? Das Pech ist ja, daß ich die slawischen Quellen nicht verstehe. Ich werde in dieser Sache auch an Prof. Gesemai^i^^k, Prag Schreibern I ' ■'

-sä mgeiruxib- umm- so* *i ■'• im .^q Von hier aus werden die geistesgeschichtlichen Voraussettun- gen der „Königslegende“ deutlich. Dieser große Gegensatz, das Aufeinanderprallen zweier Kulturen, das die Vereinigung zweier Herzen verhindert — ist es nicht auch die Thematik der Legende, in der Slawatz von seiner Jelena getrennt wird, weil zwei Mächte einander bekämpfen? Wahrscheinlich ist die „Königslegende“ sogar unmittelbar aus diesen Voraussetzungen hervorgegangen. Muß doch Slawatz einsehen lernen, was ihm Stjepan gelehrt hat: „Und dann würde ich mit Gottes Hilfe versuchen, den heiligen Willen und Brauch des Volkes, seine tiefe und wilde Liebe zu den eigenen uralten Wurzeln mit der neuen großen Ordnung zu versöhnen, die im Abendland herrscht und die auch das kroatische Volk miteinbeziehen will. Wir sind keine Morgenländer. Unsere Berge und unsere Küsten blicken nach Abend. Wir gehören zur abendländischen Christenheit, dem Basileus sind wir viel zu fern.“ Überhaupt ist die Geschichte des Balkans über alle Jahrhunderte hinweg von diesen großen Ost-West-Gegensätzen überschattet, und ihre Erhellung ist wesentlich auch eine Erhellung dortigen historischen Geschehens.

Das Geschick des Königs Slawatz. ist es nicht mutans mu-tandis auch zum Schicksal der Dichterin geworden? Heimatland mußte ihr zur Fremde werden, weil ein großer S^aat nicht mehr war. Ernst Molden, der Gatte der Dichterin, schreibt anläßlich des Todes seiner Frau an Camilla Lucerna:

Ganz objektiv glaube ich sagen zu können, daß mit Paula ein unwiederbringlicher Reichtum von einer Art, die einer versinkenden Vergangenheit angehört, uns allen genommen wurde. Mehr noch als die Dichterin der Mensch. Sie, Frau Professor, die Sie ein Leben der Vermittlung, dem Verstehen gewidmet haben, opfervoll und nie ermüdend, Sie wissen es

besser als jeniand, welchen Reichtum die Menschen mit mehreren „Vaterländern“ (das Wort stammt von Paula) darstillen. Sie hatte ihres im geliebten kroatischen Süden in der österreichischen Landschaft, im alten großen Heimatbereich, und seit langem in dem Schicksalsland jenseits des Sichtbaren, in dem Gottesland, dem sie wie eine strahlende Kerze, wie ein , St<™ %frjjft\Llkttt W.emtuht geliebtes Leben zuletzt in der fangen l&anmett lsie}iatfe“Cakm&m>def Pankreasdrüse, aber ohnv^StkmerttenpAgioSdmtf ett&'X3nade} wirklKfr Wie eine edle Kitze heruntergebrannt 'und still erloschen ist, sie bleibt doch durch alle ihre so tief bekennenden Gedichte eine in Wahrheit nie und nie verlöschende Kerze.

Im Gespräch mit Dr. Elza Kucera, einer der dem Hause Preradovic eng befreundeten Dame, konnte der Autor dieses Aufsatzes im Sommer 1961 wichtige Einzelheiten über eine seinerzeit geplante Übersiedlung der Familie Preradovic nach Zagreb erfahren. Dusan Preradovic, der Vater der Dichterin, sollte, nachdem er 1911/12 bereits provisorisch das Staatsarchiv in Zagreb geleitet hatte, ntin auf Anregung von Frattjo Markovicv eines dortigen Professors für Ästhetik, definitiv diese Stelle übernehmen. Das hätte die ständige Übersiedlung nach Zagreb, die sich Dusan als seinen kroatischen Vorfahren zutiefst verbundener Mensch sehnlichst wünschte, notwendig gemacht. Alles schien zunächst in bester Ordnung zu sein, und Paula schrieb 1911 an Dr. Kucera, in deren Haus die Familie wohnen sollte:

Es ist ein sehr eigentümliches Gefühl, daß in einer fremden Stadt, die doch die eigentliche Heimat ist, ein paar Menschen auf einen warten. Es liegt Ansporn und Verantwortung darin, und die große Angst, man würde sie enttäuschen ... Ick freue mich so sehr auf Agram, eine ganz mystische Liebe habe ich für das Land meiner Väter, in das wir nun bald heimfinde!; werden. Und auf Sie und alle die ausgezeichneten Menschen dort freue ich mich.

Auch in den späteren Jahren der scheinbaren Entfremdung ist diese mystische Liebe zum Land ihrer Kindheit, zum Land ihres „Südlichen Sommers“ und ihrer „Dalmatinischen Sonette“ nicht erloschen. Schreibt sie doch noch im Jahre 1931 an Enrica von Handel-Mazzetti: „Die Reise nach Dalmatien ist wie eine Fata Morgana, die immer zurückweicht. Alles ist vorbereitet, heute früh hätte ich reisen sollen, nun verschiebt sich daä Blaue und Ferne wieder auf Tage. Wie durch einen Nabelstrang, der nie durchgeschnitten wurde, bin ich mit jener Landschaft verbunden, nie- kann ich ihr entwachsen.“ Doch dann bekam die Stelle, die Dusan Preradovic zugedacht war, ein anderer, und Paula wurde in Wien heimisch und blieb ein ganzes Leben lang. So entscheidet oft ein seltsamer Zufall über das Lebensschicksal eine Menschen.

In den späteren Lebensjahren hat die Dichterin versucht sich liebend in die Geisteswelt ihres Großvaters, des großen kroatischen Lyrikers, zu versenken. „Das Ungeheuerliche in der Tatsache, daß ich nicht Kroatisch verstehe, ist mir erst jetzt so ganz klar geworden. Es ist entsetzlich. Und ebenso entsetzlich ist, daß ich meinen Vater, der doch, soviel ich glaube, über die Lebensumstände seiner Eltern ziemlich genau unterrichtet war, nicht über alles ausgefragt habe. Ich hatte, als ich jung war, kein Interesse für all das.“ Paula von Preradovic ist sich in jedem Augenblick ihres Lebens bewußt, was es heißt, eine österreichische Dichterin zu sein und das Lob jenes Landes zu künden, das unter den Trümmern einer Weltkatastrophe noch übrig geblieben ist; sie weiß aber auch zugleich, daß dieser einst so große Lebensraum nun ein Raum nach innen geworden ist, eine Landschaft der verschütteten und deshalb um so heißer geliebten seelischen Bezirke. •

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