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Aus der österreichischen Romandichtung

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Wer einige Stunden des Entzückens, aber auch des tiefen Versenkens in vergangene Größe und menschliches Leid und ihr langes sanftes Nachrauschen erleben will, der lese dieses Buch, das Buch einer großen Dichterin, Schöpfung vornehmster Gestalt und innerer Fülle. Daß die nationalsozialistische Zensur nach dem Erscheinen der ersten beiden kleinen Auflagen erschrocken innehielt über der Entdeckung, daß sie ein allzu österreichisches Buch durchgelassen hatte, und dem weiteren Erscheinen Einhalt gebot, kann nicht überraschen, eher hätte man sich wundern müssen, hätte sie es nicht getan. Denn in diesem Buche sprudeln alle Quellen österreichischen- Geistes. Jetzt liegt die notwendige Neuauflage vor.

Paula Preradovic schöpfte aus ihrer Familiengeschichte. Dem Buche liegt „in vielen Stücken”, wie die Verfasserin sagt, ein Briefwechsel ihres Großvaters, Peter Preradovic’, mit seiner ersten Gattin, Paolina (Pave) de Ponte, zugrunde. In der Mitte der Handlung steht die zarte schöne Pave, Tochter eines alten italienisch- istrianischen adeligen Geschlechtes, die der kaiserliche Major Petar Preradovic als Gattin heimgeführt hatte, der Sohn einer alten Grenzerfamilie, der nach Civo Gundulic die Reihe der großen kroatischen National dichter fortzusetzen bestimmt war (1818 bis 1872). Ein Frauenleben von rührender Tragik, endend in einer erschütternden Katastrophe, ersdiließt sich in dem von Meisterhand gezeichneten Seelengemälde. Das literarische Problem, den schließlichen seelischen Zusammenbruch eines gläubigen Mensdten, dieser liebenden Gattin und Mutter über den Tod eines Kindes in dem psychologischen Aufbau des Romans zu motivieren, konnte nur von einer begnadeten Feder gelöst werden. So wie über dem Geschicke dieser Frau, schwebt über diesem ganzen Buche eine rührende, stille Wehmut, ein unausgesprochenes sehnsüchtiges Abschiedswinken zu einer Welt, die man aus tiefster Seele liebte und die man unwiederbringlich verloren weiß. Da erzählt die Dichterin von den „ewig rauschenden Wassern um Lukoran”, die dalmatinische Heimatinsel Paves, von dem Uferpfad von Lapad, auf dem Rosmarin und Myrthe aus der Strandwildnis der Macchia duften, von Ragusa, dem schönheitstrunkenen Traum einer Stadt am Meer, und dann wieder von Agram und dem alten Wien und von den Menschen dieser versunkenen Zeit. Und w i e Paula Preradovic davon zu erzählen weiß. Da ist die alte Familie Preradovic von der Militärgrenze, dem tapferen Menschenwall zum Schutze Mitteleuropas gegen die Ausbrüche des islamitischen Ostens. „In der Zadruga, der slawischen Hauskommunion hatten die Sippen sich fortgepflanzt. In unabsehbarer Geschlechterfolge seit jenem ersten sagenhaften Ivan, Johann oder Juan, der im Dreißigjährigen Krieg sich den Adelsbrief erworben, in der Schlacht bei Breitenfeld das Leben gelassen hatte, waren diese Vorfahren dem dunkel schützenden Nährboden der Zadruga niemals entwachsen. Reisige Männer, die auf allen Schlachtfeldern dem Kaiser gedient und für das Abendland geblutet hatten, mutige, schweigsame namenlose Mütter, die in den endlosen Abwesenheiten der in den Krieg gezogenen Männer den Familien vorgestanden, die Kinder in Züchten auferzogen, die der Hausgemeinschaft gehörenden Felder bestellt hatten, ja, die, wenn die Not am höchsten gewesen, gar selbst mit Büchsen Bewaffnet an die Granitz Beordert worden wareD und in Scharmützeln wider den türkischen Erbfeind kühn und ohne Aufhebens ihren Mann gestellt hatten. Eine tapfere, arbeitsame, fromme Reihe waren diese Männer und Weiber gewesen, keiner von ihnen hatte das Seine gesucht, sondern alle das schicksalhaft übernommene, allgemein Beste, keines von ihnen war ein Einzelnes gewesen, sondern alle waren kräftige, entsagungsfähige, Gott und dem Kaiser ergebene Glieder einer mächtigen, das Reidi festigenden Kette!

Ein Lied von Altösterreich. Leise meldet sich im Geschehen Schon die neue Zeit an. Wohl ist Radetzky noch am Leben, unter ihm kämpft Peter Preradovic. Aber neue Kräfte verlangen nach Geltung. Die „illyrische Bewegung” setzt unter den Südslawen der Monarchie ein, zunächst eine literarische und noch keine Volksbewegung; sie sucht auch später noch und auf lange hinaus innerhalb des Reiches ihre Ziele. Feme Striche deuten in dem Roman die kommende Entwicklung an.

Das ist ein Buch, das nicht vergessen werden wird. Zweifellos eine der künstlerisch bedeutsamsten’ Romanschöpfungen der Gegenwart, auch heute noch edle Frucht der geistigen Vermischungen, die nach alter Bestimmung sich im Raume der österreichisdien Welt zu vollziehen haben.

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