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Die Talfahrt geht weiter

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Die neue Regierung offenbart, daß die Demokratien zu einem Fall staatsrechtlichen Leichtsinns werden.

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Die neue Regierung offenbart, daß die Demokratien zu einem Fall staatsrechtlichen Leichtsinns werden.

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Nach nächtelangem Verhandeln, hartem Ringen und mühevoller Kleinarbeit stand sie da: die neue Regierung.

Bei der ersten Vorstellung vermochte der Kanzler kaum Worte zu finden, so erschöpft war er, sprach- und hilflos. Wie Hyänen fielen Medien und Oppositionen über ihr Opfer her.

Die Motive dieser Kritiken sind aber völlig unberechtigt. Die Koalitionspartner hatten keine andere Wahl als die Lasten weiter zu tragen, die seit zwanzig Jahren zum Mühlstein geworden ‘sind. Und Weil sie ihre Ämter lo eifersüchtig verteidigen, müssen dieselben Minister wie Sysiphos weiterhin das Unmögliche versuchen. Zum Schaden ihres politischen Unglücks haben sie noch den Spott über ihre Abfertigungen zu ertragen.

Die Regierung verdient unser aller Mitleid. Ihre Regierungsfähigkeit sieht jetzt wie ein schwerer Schicksalsschlag aus, weil eben die Alternativen nicht regierungsfähig sind. Das, was im Parlament sich insgesamt als politische Elite eines Landes präsentiert, ist nichts als morbide Dekadenz, da mit bona- partistischen Allüren, dort mit dem Charme mißlungener Kopien von Amazonen.

Es ist zwar bitter, daß das Koalitionsübereinkommen ein Doku ment der Einfallslosigkeit ist, doch welcher Küchenchef kann ohne Nahrungsmittel kochen?

Wir haben eine neue Regierung, kein Geld, Ruinen in der Parteienlandschaft, keine Perspektiven, wenn man von Brüssel absieht, verbitterte Sozialpartner und in den Medien eine barbarische Freude über Ratlosigkeiten. So fügt sich die Situation wunderbar ins Bild zwischen einer transformierten Republik Italiens und einer durch Teilnahmslosigkeit immobilen Schweizer Demokratie.

Offenkundig ist das Fähnlein der vierzehn Aufrechten in der österreichischen Regierung zugleich die Vollversammlung der letzten Mitglieder ihrer Parteien, irgendwie rührend anzusehen. Es ist zugleich eine Gläubigerversammlung eines konkursbedrohten Betriebes, der naturgemäß nur das Nächstliegende einfällt und die dieses mit einem Programm verwechselt.

KONSENS BRICHT ENTZWEI

Neben der Veräußerung von Staatsbetrieben und Einrichtungen aller Art werden die Kleinen des Landes rücksichtslos mit der Realität konfrontiert, ehe Österreich aus dem Schutzzonenatlas seiner Neutralität, seiner subventionierten Binnenwirtschaft und protektionistischen Sozialpolitik verschwindet. Inmitten einer atemberaubenden Wohlfahrt, inmitten einer Blüte der Ver- geudungs- und Verschwendungswirtschaft, die wie ein Nachspiel zu Fellinis „Großem Fressen“ anmutete, bricht der politische Konsens entzwei.

Im Koalitionsabkommens stehen nur noch Belanglosigkeiten wie eine lange Erzählung ohne Poin ten. Der hilflose Minimalkonsens der Koalitionspartner ist eine Verlassenschaftsabhandlung, nach der die nächste Generation nur eine bedingte Erbserklärung abgeben sollte. Die neue Regierung steht vor uns wie das Trio im „Lumpaciva- gabundus“ im zweiten Akt, nur mit dem Unterschied, daß sowohl der Komet ausbleiben als auch die Casino AG das Defizit nicht decken können wird.

„BILL OF DUTIES“ NÖTIG

Die Talfahrt wird weder die Debatte ums Namenrecht, noch die Chance auf Homosexuellenehe mildern, auch nicht der Inszenierungswahn der Kulturpolitik. Ein degeneriertes „Naturrecht“ adelt anarchische Tendenzen vernatürlichter Menschen zum Stammesund Geschlechtsverhalten.

Die neue Regierung offenbart, daß die Demokratien zu einem Fall staatsrechtlichen Leichtsinns werden. Der beschworene Gleichheitsgrundsatz der Verfassung erhält nunmehr in den politischen Dokumenten den Ludergeruch des künftig Totalitären. Hexen verlangen die Verbrennung der Republik.

Immerhin will die neue Regierung diesen Naturprozeß der Gesellschaft unbewußt verzögern, daher liebt man sie nicht. Sie ist auch so konstituiert worden, daß sie nicht einmal Achtung verdient. Wer liest eben die Mahnung Hermann Brochs: „Die Demokratie benötigt zur Aufrechterhaltung ihres Bestandes nicht nur eine Bill of Rights, sondern auch eine Bill of Duties, mit denen zu verhüten ist, daß irgendeine Person im Staatsbereich irgendeine andere in Sklaverei zu versetzen sucht ... “

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