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Ein Bild erzahlt

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Zwischen Brüssel und Steen-Ockerzeel liegt das schlichte Dorf Saventhem. Uralte, ärmliche Häuschen stehen verschämt neben modernen Backsteinbauten und Villen, Wassermühlen, deren Geschichte bis in das 13. Jahrhundert zurückgeht, kauern im Schatten von neuzeitlichen Fabriken und Industriewerken. Ein Dorf wie hundert andere in Belgien, und nichts läßt ahnen, daß hier ein Kleinod kirchlicher Kunst verborgen ist, dessen wechselvolle Geschichte wie eine alte Ballade von Herzensneigung und Habgier klingt.

Ebenso wie sein Lehrer Peter Paul Rubens, der erst in Italien an der gewaltigen Kraft Michelangelos, der beschwingten Grazie Correggios, der vollendeten Komposition Raffaels und später an dem ungestümen Realismus Caravaggios seine eigenen künstlerischen Fähigkeiten zu voller Reife entwickelt hatte, wollte auch der junge Anton van Dyck von Antwerpen aus nach dem sonnigen Süden ziehen. Als er auf seinem prächtigen Schimmel, den ihm Rubens zu dieser beschwerlichen Reise geschenkt hatte, durch Saventhem ritt, erblickte er ein hübsches Edelfräulein, Isabella von Ophem, verliebte sich Hals über Kopf, vergaß sein Reiseziel und sah sich in dem Ort nach einem Quartier um. Der Kanzler Ferdinand von Borsschot, der Sproß einer alten Saventhemer Familie, der schon von dem jungen Künstler gehört hatte, nahm ihn freundlich auf, allerdings nicht, ohne eine Bedingung zu stellen. Er beauftragte van Dyck gegen ein Honorar von 300 Gulden für einen Altar der St.-Martins-Kirche ein Bild zu malen. Erfreut, einen Vorwand für einen längeren Aufenthalt gefunden zu haben, nahm der Künstler den Auftrag an; den jungen Liebe jedoch war wenig Glück beschieden. Ohne lang zu zaudern hielt van Dyck um die Hand Isabellas an; ihr Vater jedoch dachte nicht daran, dem fast unbekannten jungen Künstler seine Tochter zu geben und wies ihn höflich, aber bestimmt ab.

Inzwischen hatte Rubens von dem unvorhergesehenen Aufenthalt seines Schülers erfahren und ritt ihm nach, um ihn zur Vernunft zu bringen. Dies war jedoch nicht mehr nötig. Ernüchtert durch die Ablehnung, hatte sich van Dyck wieder auf seine Kunst besonnen und arbeitete eifrig an der Vollendung seines heiligen Martins. Er malte sich selbst, wie er in Saventhem eingezogen war, und hatte das Gemälde nahezu fertig, als sein erzürnter Meister eintraf. Er verewigte den überraschenden Besuch noch, indem er Ruberes, der ihm die Hand mit abhaltender Geste auf den Arm legt, in die linke Ecke des Bildes setzte, und brach dann nach Rom auf.

Das Bild aber, die einzige bleibende Erinnerung an diese Episode eines Künstlerlebens, schmückte vom Jahre 1626 an die Kirche Saventhems. Hundert Jahre nach dem Tode van Dycks, dessen Werke inzwischen von London aus in der ganzen Welt bekannt und berühmt geworden waren, entdeckten Kunsthändler aus Antwerpen das Jugendwerk des Künstlers und stellten dem Saventhemer Stadtrat ein derart hohes Angebot, daß sich dieser entschloß, das Kunstwerk zu verkaufen. Er hatte jedoch seine Rechnung ohne die Bürger von Saventhem gemacht, die das Bild so liebgewonnen hatten, daß sie sich dem Verkauf mit Gewalt widersetzten. Die Angelegenheit kam vor den Hohen Rat von Brabant, der schließlich entschied, daß das Bild an seinem Platz bliebe.

Als die Franzosen 1794 in das Land einfielen, entführten sie es nach Paris; nach dem Sturz Napoleons I. wurde es jedoch wieder zurückgebracht. Im ersten Weltkrieg kam es auf Befehl der deutschen Besatzungsmacht in die Keller des Brüssler Museums. 1919 kehrte es wieder in die St.-Martins-Kirche zurück. Während des letzten Krieges verschwand das Gemälde, wie so viele Kunstwerke im besetzten Gebiet, neuerlich aus seinem Rahmen, um nun wieder, und diesmal hoffentlich für längere Dauer, seinen alten Platz am rechten Seitenaltar der Saventhemer Pfarrkirche einzunehmen.

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