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Ein Buch mehr im Liebes- und Ehewirrwarr

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Liebe. Von Fons Jansen. Verlag F. Schöningh, Paderborn. 206 Seiten. Preis 7.60 DM

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Liebe. Von Fons Jansen. Verlag F. Schöningh, Paderborn. 206 Seiten. Preis 7.60 DM

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Wir leben im Zeitalter der entfesselten Triebe und der zertretenen Liebe. Man freut sich darum über jedes Buch, das, wie das vorliegende, „auf der Suche nach einer christlichen Geisteshaltung vor und in der Ehe" ist, dessen Verfasser, ein holländischer katholischer1 Laie, das Alltagsleben kennt, es meisterlich zu schildern versteht und für das Alltagsleben schreibt. Er fühlt sich getragen von der edlen Absięht, zu zeigen, daß eine Lösung der modernen Liebes- und Eheprobleme nicht von einer vom Körperlichen her geleiteten „Technik“, sondern vor allem von einer vom Seelisch-Geistigen her gesicherten persongerichteten Liebesgesinnung und -haltung zu erwarten ist. Da der Verfasser hierin zweifellos recht hat und an der bestgemeinten Tendenz des Buches nicht zu zweifeln ist, bemüht man sich als Rezensent, jedem Satz und jedem Kapitel eine Deutung zu geben, die man unbedenklich bejahen kann. Doch trotz dieses Bemühens kann man nach wiederholter Lektüre mancher Kapitel von der Gewissensfrage nicht loskommen: Kann dieses Buch in der praktischen Anwendung und Auswirkung der darin empfohlenen Haltungen nicht auch verwirren und verführen, vor allem nicht vollreife, sittlich nicht ganz ernste und in den christlichen Grundsätzen nicht gefestigte Leser, die vor der Ehe stehen? Weil es ein Ehebuch und ein Jugendbuch sein will, drängen sich ernste pastoralpädagogische Fragen auf, über die man — von der Erfahrung her gesehen — nicht hinwegkommen kann. Natürliche persongerichtete Unbefangenheit scheint dem Verfasser als Ziel der geschlechtlichen Erziehung vorzuschweben. Man kann dieses Ziel bejahen, wenn die angestrebte Unbefangenheit eine ehrfürchtige und darum zuchtvolle ist und nicht unbeachtet bleibt, daß im erbsündlichen Menschen die Harmonie zwischen Leib und Seele gestört ist und vom Durchschnittsmenschen „das Abstandnehmen vom Körperlichen“ nur mit der Erlösungsgnade in langdauernder Fremd- und Selbsterziehung gelernt werden kann.

Ohne auf Einzelheiten eingehen zu können, sollen hier einige Bedenken in Frageform angedeutet werden und zur Nachprüfung anregen.

1. Wird das Liebes- und Eheproblem immer zeitnahe und richtig gesehen? Wird unsere heutige Jugend noch gar so oft durch Sündenfurcht auf die sexuelle Sphäre hingelenkt? Haben wir heute noch viel Anlaß, gegen eine Auffassung anzukämpfen, die ein zuchtvolles Eheleben als „erlaubte Unkeuschheit“ ansieht? Stehen wir nicht viel häufiger Menschen gegenüber, die ein zuchtloses Ehetreiben wie „erlaubte Keuschheit“ behandeln?

2'. Gilt nicht nach Paulus (Röm. 7, 14 ff.) ganz allgemein, also auch auf dem Gebiet der geschlechtlichen Sittlichkeit, daß für den erbsündlichen Menschen das rechte Wissen noch nicht das rechte Wollen sichert? Jansen sieht in der persongerichteten Liebe die richtige Haltung zwischen den beiden Geschlechtern, sagt der Jugend aber recht wenig, wie sie zu dieser Haltung gelangen soll. Müßte er nicht etwas mehr sagen über das gesunde Reifen der Liebe, über die Eigenart der beiden Geschlechter hinsichtlich Eros und Sexus, über das Zusammenspiel zwischen Geschlechtskraft . und Liebeskraft, über die körperlichen und seelischen Folgen eines Versagens usw.?

3. Werden nicht wichtige Begriffe zuwenig klar umschrieben? Sollte nicht im Kapitel „Freundschaft" zwischen Kameradschaft, Freundschaft und Bekanntschaft genau unterschieden werden? Freundschaft ist zwischen Jugendlichen verschiedenen Geschlechtes gewiß möglich, aber ebenso gewiß ist, daß sie zwischen vollreifen jungen Menschen gewöhnlich in ernste Gefahr kommt, ins Erotisch-Sexuelle abzugleiten.

4. Wird nicht viel zuwenig auseinandergehalten, daß i n der Ehe und vor der Ehe manches sittlich ganz verschieden beurteilt werden muß? Wenn in der Ehe Zärtlichkeit, Kuß und Umarmung die naturgemäße Vorbereitung zum Letzten sind, so sind sie vor der Ehe leicht die große Gefahr. Denn auch die idealste Liebe sichert dem erbsündlichen Menschen nicht die volle Herrschaft des Geistes über den Leib. Auch hat der junge Mensch selten volle Sicherheit darüber, wie unnötige körperliche Annäherungen auf den Liebespartner wirken, abgesehen davon, daß der eine Teil die letzte Absicht des andern sehr oft nicht wissen kann.

5. Wird nicht das Verhältnis von Liebe und Keuschheit einseitig gesehen? Sollte man nicht endlich einmal aufhören, gewisse Bibelstellen, wie Mt. 25, 35 ff., und 1. Petr., 4, 8, zu zitieren, um Liebe und Keuschheit zu vergleichen. Entwicklungsgemäß ist es doch so, daß der Wille zur Keuschheit das gesunde Reifen der Liebe sichern und die gereifte Liebe den Willen zur Keuschheit stützen muß. Wer — mit vollem Recht — den Primat der Liebe betont, darf nicht blind werden für die Tatsache, daß kaum irgendwo das Gebot der Liebe so oft und so folgenschwer übertreten wird, als auf dem Gebiet der geschlechtlichen Sittlichkeit.

Dies sind einige, aber nicht die einzigen Fragen, die man vom pastoral-pädagogischen Standpunkt aus zu stellen hätte. Damit sollen aber nicht die vielen wertvollen Klarstellungen und Anregungen, die das Buch gibt, in Abrede gestellt oder verkleinert werden.

Im Kapitel „Aufklärung“ wird nicht beachtet, daß die notwendigste Unterweisung nicht die über das Werden, sondern die über das Reifwerden des Menschen ist. Auch wäre es hoch an der Zeit, zu beachten, daß für die Erstaufklärung im Kindesalter und für die Vollaufklärung im Reifealter nicht in allem die gleichen Normen gelten können.

Den Rezensenten drängt es auch, festzustellen, daß ein kirchliches Imprimatur nicht immer eine verläßliche Gewähr bietet, daß der Inhalt eines Buches nach jeder Richtung hin einwandfrei ist.

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