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Februargedenken, aber wie?

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Kardinal König hat in seiner Neujahrsansprache zur Entgiftung der Innenpolitik aufgerufen. Die Worte sind Zeugnis der erneuerten sittlich-politischen Kraft der Kirche. Hoch über der parteipolitischen Ebene, auf der sie einst unter anderem desintegrierend wirkte, erhebt sie nun ihre Stimme als Mahnung zur Integration. Hierfür sollten alle politischen Parteien dankbar sein, insbesondere wir Sozialisten, die wir in unserer Geschichte so lange außerhalb aller integrierten Gesellschaftsordnung zu stehen hatten.

Das Jahr 1963 hat reichliche Giftproduktion hinter sich gelassen. Im Verlauf des Jahres 1964 mag noch mehr Giftproduktion bevorstehen.

Man gedenkt demnächst der 30. Wiederkehr des Februar 1934, da „Schwarze“ und „Rote“ einander massakrierten; der 30. Wiederkehr des Juli 1934, da „Braune“ und „Schwarze“ einander massakrierten; der 50. Wiederkehr des August 1914, da alle Welt einander das erstemal massakrierte; der 25. Wiederkehr des September 1939, da alle Welt einander das zweitemal massakrierte.

Was für Gelegenheiten!

Bleiben wir bei der Innenpolitik: Schwarz, Rot und Braun, die vor 30 'Jahren einander massakrierten, leben zum Gutteil noch. Nicht mehr ganz als die alten; sie sind älter geworden, zum Teil wohl auch weiser. Aber viele der Weisesten sind schon in Pension oder tot. Dieser Tage starb Julius Raab. Gewiß, der Weisheitsschatz, erworben in bitteren Zeiten, hat noch Hüter, an der Spitze Adolf Schärf.

Doch wir stehen mitten im politischen Generationswechsel. Was wird da alles tönen — zum Februar 1934 — aus jüngeren und auch älteren Wohlstandsbäuchen, wie emsig werden die Gebetsmühlen wohlgepolsterter Kinnladen klappern, wie undurchdringlich wird der Nebelschleier, sei's. auch wohlgemeinter Phraseologie, über unserem Land liegen.

Wir Sozialisten haben allen Anlaß, an die Mahnung des Kardinals zur Entgiftung der Innenpolitik anzuknüpfen. Was von so hoher Warte gesagt wurde, sollte mit dem gebührenden Respektabstand — dies ist meine persönliche Meinung — auf gesellschaftlicher und staatlicher Ebene konkretisiert werden: Man sollte sich am 12. Februar 1964 in einem würdigen, gemeinsamen Akt nationalen Gedenkens vor den Toten des Bürgerkriegs 1934 gemeinsam verneigen.

Damit ist nichts gegen die ebenso unabwendbaren wie legitimen Parteifeiern gesagt. Wir Sozialisten brauchen uns da von niemandem, von keinem stromlinienförmigen Superdemokratismus etwas dreinreden zu lassen. Wir wissen, wessen wir, als die Zeiten und Räume überspannende große Familie unserer Idee, am 12. Februar gedenken: der Kämpfer für Demokratie, Recht, Sozialismus, der Vorbilder von gewaltiger Wirkkraft in dunklen Zeiten.

Aber nur Parteifeiern? Nationale Geschichte ist nicht schwarz, nicht rot, nicht einmal halb schwarz und halb rot, wie sonst vieles in diesem Land — sondern eben nationale Geschichte: österreichische Geschichte. Der Bürgerkrieg 1934 war eine Tragödie mit aller Katastrophenfolge einer solchen, aber auch mit - aller düsteren Großartigkeit einer solchen. Auf beiden Seiten kämpften Bürger dieses Staates, die bereit waren, zugunsten großer, ihre Zeit umwälzender Ideen ihr Leben als fertiggelebt zu betrachten und leichthin aufzuopfern — eine Leichtfertigkeit, die für uns Nachgeborene, die wir unser Leben in Automobil- und Waschmaschinenraten berechnen, in ihrer ganzen Skala von unsinniger Dämonie bis beneidenswertem Idealismus respekteinflößend funkeln sollte.

Und ob, was damals gedacht wurde, falsch war; und ob, was damals getan wurde, heillos war: es entbehrte nicht der Größe, es ist Teil unser aller Geschichte. Gemeinsam sollten wir uns vor den Toten des Jahres 1934 neigen, die ganze Bundesregierung, die ganze Volksvertretung, die höchste Spitze des Staates: am 12. Februar 1964.

Utopie? Vielleicht. Wahrscheinlich sogar. Aber Utopien solcher Art tragen wohl ihren Wert in sich und vertragen es, daß man über sie zur Tagesordnung übergeht — zur Tagesordnung, die da lautet: Wie schlage ich aus einem Stück nationaler Geschichte aktuelle Scheidemünze.

Jedenfalls steht — dies ist meine persönliche Meinung — uns Sozialisten eine solche Initiative einer gemeinsamen nationalen Totenehrung sehr wohl an. Uns ist damals das hauptsächliche Unrecht widerfahren; unsere Gegner trugen damals, auch wenn man die größere Hälfte ihrer Schuld den unglückseligen weltpolitischen Gestirnen zuwälzen mag, vom verbleibenden innenpolitischen Anteil die weitaus größere Hälfte der Schuld. Uns geziemt es daher, bei so eindeutigem Tatbestand, den Blick von der Vergangenheit endlich auch in diesem Punkt ab-und zur Gegenwart und Zukunft hinzuwenden.

Uber die weiterhin nötige, sogar zu verstärkende sachliche Aufhellung der Ereignisse des Jahres 1934 durch die Geschichtswissenschaft wird damit nicht abgesprochen. Im Gegenteil, das Gedenkjahr könnte und sollte der Anlaß zur Einsetzung einer großen wissenschaftlichen Kommission sein mit dem nationalen Antrag, klares Licht in diesen Abschnitt unserer Geschichte zu bringen.

Aber hier geht es mir um den symbolhaften Schlußstrich — der ja zu ziehen ist, wie immer solche historische Bilanz ausfallen mag — im gesellschaftlich-politischen Bereich. Ein Akt von höchster Symbolkraft scheint mir dazu erforderlich, wohl gar mehr noch als die gemeinsame nationale Gedenkfeier vor den Gräbern, sondern auch noch die symbolhafte gemeinsame Grablegung der Opfer des Bürgerkrieges 1934. Im gemeinsamen Vaterland sind die Grabstätten einer nationalen Katastrophe nicht mehr Parteiensache, sondern Sache der Nation.

Ich weiß, da ich selbst im Organisationsleben meiner Partei auf unterster Ebene tätig bin, was derlei für Gefühle bei jenen wachrufen muß, die aus damaliger Zeit gerechtfertigte und zu achtende Bitterkeit hegen. Doch trägt wohl um die Rechfertigung und Achtung dieser Mitglieder beträchtlichere Sorge, wer die Last der Vergangenheit nicht beläßt und rumoren läßt, wo und wie sie ist, sondern die Last der Vergangenheit dorthin bewegen will, wo sie zur Ruhe kommt und nichts weiter bewirkt als Lehre für Gegenwart und Zukunft.

Auch solche Lehre müßte sich — da die Innenpolitik der Zweiten Republik in die Sackgasse der Ersten zu geraten droht (wie Janko Musulin trefflich formuliert hat) — am 12. Februar 1964 konkretisieren. Aus Anlaß des gemeinsamen nationalen Gedenkens vor den vereinten Grabstätten der Toten des Bürgerkriegs sollten die Parteien einen Akt des Selbstverzichtens zugunsten der Nation setzen: Vor diesen Gräbern sollten die Parteien in aller Feierlichkeit und unter Verpfändung ihrer Ehre als Träger der Demokratie die gemeinsame öffentliche Erklärung abgeben, daß sie einander — ob in großer Koalition, kleiner oder gar keiner — die unverbrüchliche demokratische Zusammenarbeit verbürgen.

Demokratische Zusammenarbeit angesichts der Bürgerkriegsgräber heißt nicht verschwommene Versöhnlichkeit („Wozu streiten, wir wollten und wollen ja alle das Beste“), auch nicht Immobilismus („Lassen wir das Alte ruhen und tun wir auch nichts Neues, sonst streiten wir doch wieder“). Demokratische Zusammenarbeit bedeutet: dynamische Regierung der Mehrheit, aber unter peinlicher Beachtung aller vitalen Rechte und Interessen der Minderheit; Treu und Glauben; Kompromisse; politische und persönliche Kontakte zwischen Gegnern, welche die demokratische Gesinnung gemeinsam haben. Unter diesen Kautelen schließt die demokratische Zusammenarbeit den scharfen Ideen- und Interessenkampf mit ein. Und unter diesen Kautelen steigt das Neue, das kommt und kommen muß, in menschlichster Form ans Licht.

Wer die gemeinsame nationale Gedenkfeier, die gemeinsame nationale Grablegung der Bürgerkriegskämpfer am 12. Februar 1964 vorschlägt, der ruft damit unserer Gesellschaft nicht etwa zu (um den jungen Marx zu variieren): „Laß ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug.“ Im Gegenteil: „Wir zeigen ihr nur, wie sie kämpfen soll, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nicht will.“

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