6743334-1966_50_12.jpg
Digital In Arbeit

Harlekinade mit verteilten Rollen

19451960198020002020

DAS ENDE EINER DIENSTFAHRT von Heinrich B ö 11, Kiepenheuer Witsch 1966.

19451960198020002020

DAS ENDE EINER DIENSTFAHRT von Heinrich B ö 11, Kiepenheuer Witsch 1966.

Werbung
Werbung
Werbung

Geplantem Unsinn liegt oft nichts anderes zugrunde als gesundes Vertrauen auf die heilsame Wirkung des Akausalen, Zusammenhanglosen, Fratzenhaften, in dem sich nicht selten das Wirkliche widerspiegelt in seiner ganzen Illegibilität und Skurrilität.

Die Fratze, die Böll in seiner neuen Erzählung „Das Ende einer Dienstfahrt“ zeigt, ist wohlgenährt, eine Wohlstandsvisage mit Fettpolstern und gutmütigen trüben Augen. Ihre Wirkung ist komisch. Das Publikum wird lachen.

Je stärker jedoch der Wirklichkeitsbezug, je treffender der Spott, desto dünner die Glasur vordergründiger Komik, desto bitterer die ledige Pille.

Im Mittelpunkt dieser spießbürgerlichen Walpurgisnacht im Wartezimmer des Birglaer Gerichtsgebäudes — dessen einziger Vorteil darin besteht, über mehr als genügend Toiletten zu verfügen (Gruhl, der Hauptheld der Erzählung sagt später aus, er betrachte Recht und Gerichtsbarkeit als etwas Peinliches) — im Mittelpunkt also steht ein Vorfall,

den man später als Happening interpretiert, womit jedenfalls die Gewähr gegeben ist, daß es geschehen kann, ohne daß etwas geschieht.

Die beiden Gruhls, zwei angesehene Birglaer Bürger, verbrennen mitten auf einer stark frequentierten Autostraße ein Militärdienstfahrzeug, das der zum Wehrdienst einberufene Gruhl junior laut Auftrag spazierenfährt, damit der Tachometer den zur Kontrolle fälligen Stand von 5000 km erreicht. Die Tatsache, daß die beiden dabei im Rhythmus des ora pro nobis mit ihren Tabakpfeifen klopfen, ferner daß der Tachometer des Fahrzeuges die Zahl 4800 aufweist, beflügelt die Phantasie zahlreicher Kunstexperten. Zur Mitwirkung an dem Kunstwerk wäre beinahe auch noch der Vertreter einer Badesprayfirma gekommen, von dem Gruhl, wie der Vertreter später zu Protokoll gibt, einige Tuben erbeten habe.

Soweit das Happening. Der Vorfall wird nun in einer Gerichtsverhandlung — die beiden Gruhls werden wegen Brandstiftung angeklagt — analysiert. Unterdessen versammeln sich die Birglaer Zeugen im Wartezimmer, gehen zum Mittagessen, versammeln sich wieder.

Während jedoch das Dekor der Hanswurstiade Stück um Stück verschwindet, die lächerliche Maske zerbröckelt und ein todernstes Gesicht freigibt, während es gilt, die Freiheit des Individuums gegen den Bürokratismus, den Dirigismus einer omnipotenten Staatsmaschinerie zu schützen, schlüpft Birglar selbst in das Narrengewand, eröffnet sich vor den Augen des Lesers ein wahres Panoptikum der Harmlosen, ein Dunstkreis zigarrenpaffender

Gemütlichkeit, kleinlichen Tratschs, gepflegter Mittagessen, konventioneller Verruchtheit und versteckter Korruption, aus dem weder die freie Meinungsäußerung mimende Presse noch der offizielle Katholizismus herausragen.

Als sich nun die Situation zuspitzt und ins Tragische umzuschlagen droht, da rasten — Höhepunkt der alternierenden Klamauks — die aus dem Gefüge geratenen Mechanismen hörbar wieder ein, kann wieder gelten, was seit jeher die Regel war, nämlich, daß Nichts plus Nichts immer nur Nichts ergibt.

Abseits alles Komödiantischen steckt im willentlichen Setzen des Widersinns gegen den Widersinn vor allem Protest.

Böll gehört zu jenen Autoren, die der Krieg von der Schulbank wegholte, die aus dem Krieg ihre stärksten Impulse bezogen und die nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen das Kriegspielen immer wieder Stellung beziehen. Und wenn der Autor in seinem Nachwort zu Ame- rys „Kapitulation des deutschen Katholizismus“ die Bischöfe unverhohlen auffordert, den Katholiken gerade in dieser Frage deutliche Richtlinien zu geben, so drückt eben die Tatsache, daß Gruhl, der als einziger durch seine wenn auch wirkungslose Tat sich gegen den Krieg und das neuerliche Wettrüsten stellt, kein Katholik ist, die Opposition des Autors gegen die Passivität der Katholiken in dieser Frage aus. Freilich ist Gruhl der Typ des Krypto- katholiken, der ähnlich wie Schnier in den „Ansichten“ als Antityp gegen die Vertreter des organisierten Katholizismus fungiert.

Gerade darin aber liegt die Schwäche der Erzählung. Das Schaffen von Typen und Gegentypen akzentuiert zwar die Komik, ist aber einer tieferen Auseinandersetzung abträglich. So bleiben die Hintergründe dieser Problematik, die weit in das Theologische und Politische hineinreicht, unberührt.

Trotzdem, eine Form des literarischen Protests, die beweist, daß auch Autoren der Gegenwart an den Fragen der res communes vital Anteil nehmen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung