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Im Defensivkampf

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Dem Geist, der Kunst und Wissenschaft bewegt und dem von Anfang der Geschichte an bis heute Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen ein großes Anliegen waren, sieht seine Bestrebung in Gefräßigkeit verkehrt und Menschenwürde in Auto-besitz gipfeln. Zunehmend entschwindet dem Bewußtsein der Massen, daß aus solchem Ungeist das Wiederkehren der Sklaverei erwächst, ja daß solcher Ungeist schon Sklaverei ist.

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Dem Geist, der Kunst und Wissenschaft bewegt und dem von Anfang der Geschichte an bis heute Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen ein großes Anliegen waren, sieht seine Bestrebung in Gefräßigkeit verkehrt und Menschenwürde in Auto-besitz gipfeln. Zunehmend entschwindet dem Bewußtsein der Massen, daß aus solchem Ungeist das Wiederkehren der Sklaverei erwächst, ja daß solcher Ungeist schon Sklaverei ist.

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Es sollte daher

1. Gegenstand der Bemühung aller geistig und kulturell Schaffenden sein, das Bewußtsein des Volkes vom Werte der Kultur zu erwecken. Die Schulbildung soll prinzipiell und erstrangig darauf ausgerichtet sein, den jungen Menschen die Auswirkungen des Schaffens der Wissenschaftler und Künstler bewußt zu machen, damit der Staatsgedanke vom Volke selbst wieder als Selbstverständnis erlebt wird, also ein aus der bewußtgewordenen Kultur geprägtes Selbstbewußtsein entstehen kann.

2. Jede Forderung, die das Schaffen von Kunst und Wissenschaft begünstigt, soll als erstrangig von der Regierung anerkannt werden, da von der Erkenntnis der Vordringlichkeit des kulturellen Lebens sich das geistige Leben des Volkes erneuert und die Zukunft und der Bestand des Landes allein dadurch gesichert werden kann.

3. Die Förderung von Kunst und Wissenschaft durch private Hand soll als Steuerbegünstigung ersten Ranges anerkannt werden.

4. Aufträge für öffentliche Gebäude, Plätze, Gärten, kurz alles, was für die Kultur eines Volkes öffentlich Zeugnis ablegt, soll zum öffentlichen

Wettbewerb ausgeschrieben werden und die Öffentlichkeit zur kritischen Auseinandersetzung und kreativen Beteiligung an der Entwicklung solcher Projekte aufgerufen werden. (Sollte daraus eine Gartenzwergkultur entstehen, so ist sie, als die dem Volke gemäße, trotz aller Einwände, die man dagegen vorbringen könnte, besser als jene anonym von „Experten“ oktroyierte. Die Menschen identifizieren sich mit diesen kulturellen Leistungen nicht, da sie an ihrer Hervorbringung nicht im geringsten teilnehmen, noch teilnehmen können. Experimente solcher

Art sollten vom Staat gefördert und als für den Staatsgedanken wiederbelebend anerkannt werden.) 5. Da es die Generation der Künstler und Wissenschaftler ist, die die Bedeutung des Landes für die kommenden Generationen heute schon festlegt, also jene Werte heute schafft, die morgen auch den wirtschaftlichen Status des Landes bestimmen (zum Beispiel der Festspielgedanke Reinhardts in Salzburg), sollten sie im Hinblick auf die Werte, die sie schaffen, in der Nutzung der Urheberrechte begünstigt und von der Entrichtung jeglicher Steuer befreit werden. (Wenn es die Politiker auf Grund ihrer höchst vergäng-

lichen Leistungen zu Unrecht waren, warum soll es der Künstler und Wissenschaftler zu Recht nicht sein?) 6. Die in den vorangegangenen Punkten formulierten Interessen und Gedanken sind in der Republik vom Ministerium für Unterricht so gut wie nie erkannt oder vertreten worden, daher soll der Gedanke, ob die gegebene Interessenvertretung überhaupt als geeignet angesehen werden kann, von uns allen neu durchdacht werden. Sollte uns Künstler gemeinsame Überlegung dahin führen, daß wir eine neue und eigene Vertretung in der Regierung fordern sollten, so müßten wir uns zur öffentlichen Äußerung dieser Forderung auch entschließen.

Das Denken über Kultur und den Wert der sogenannten geistigen Güter, aber auch um Entwicklung und Fortschritt Ist in diesem Jahrhundert das Privileg jener geworden, die von den „Arbeitern“, denen die soziale Revolution gegolten hat und die ja bekanntlich von jener eingangs erwähnten Elite ausgegan-

gen ist, als Intellektuelle und Nichtstuer verfemt werden. (In einem Nachbarstaat wurden sie von einem Regierungsoberhaupt „Pintscher“ genannt.) Das heute grassierende Mißverstehen des Fortschrittsgedankens gipfelt noch immer in dem gewiß nicht rostfreien Kampfruf: „Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will!“ Der Geist aber, der auch das Rad erfunden hat, spricht sich in diesem Mißverständnis nicht aus, und es fragen sich heute mit Recht viele geistig Schaffende, Künstler und Wissenschaftler, ob die Vermittlung jener geistigen Güter, die vom Anfang unserer Geschichte an die Grundlagen eines menschenwürdigen Daseins darstellen, zu jener Art von höherem Menschentum geführt hat, dem die Sehnsucht der Elite jeder Generation galt und das als visionäres Bild am Anfang aller Bemühungen von Wissenschaft und Kunst stand. Es ist zwar noch immer so, daß eine Nation sich durch die Nennung der Namen ihrer großen Söhne als Wesen begreift und

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