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Österreich in London

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Mit angehaltenem Atem harren Millionen ^n Österreich und Deutschland den Dingen entgegen, die sich am Londoner Konferenztisch .für den Friedensvertrag mit Deutschland und den Staatsvertrag für Österreich vorbereiten. Die Stimmen, die zu dea wartenden Völkern aus den Reihen der Diplomaten und Staatsmänner dringen, die sich zu diesen historischen, das Schicksal Mitteleuropas — nein, das Schicksal Europas entscheidenden Verhandlungen versammelt haben, vermögen Hoffnungen zu erwecken. Trifft die Meldung zu, daß beabsichtigt sei, die beiden Vertragswerke in zeitlichem Nebeneinander, vormittags den Entwurf für Deutschland, nachmittags den für Österreich, zu behandeln, so würde damit wahrscheinlich der unfreundlichen Möglidikeit vorgebaut, daß Österreich in das Kielwasser eines vorausgehenden, lang und schwierig sich I hinschleppenden Traktaments für Deutschland gerate. Das Vertrauen, daß nach den Wochen voll der ersten aufjauchzenden Befreiungsfreude und den langen Monaten der harten Realitäten, Enttäuschungen und neuen Leiden sich nun doch unserem Lande die feierlich verheißene staatliche Unabhängigkeit und Freiheit nähere, wird durch das zuversichtliche Urteil gestärkt, das Byrnes nach seiner Demission als Außenminister in Cleveland in einer Rede aussprach. Er, der nun nach seinem Abschied vom Amte keinen Anlaß mehr hat, häßlichen Tatsachen ein schönes Mäntelchen umzuhängen, wollte schwerlich schönfärben, als er sich glücklich pries, erklären zu können, daß er heute mehr Vertrauen zu einem endgültigen Erfolg für eine friedliche Zusammenarbeit zwisdien den Völkern habe als jemals seit dem Tage des Sieges. Diese Zusammenarbeit steht eben jetzt vor ihrem bedeutungsschweren Werke.

Uns österreidier begleitet ein gutes Gewissen in das Geschehen der nächsten Wochen. Neun Jahre sind vorüber seit den Jänner- und Februartagen 1938, und noch erlebt jeder von uns, der als ein Wissender die damalige Zeit erspürte, in den Erinnerungein an jene unheilgeladenen Tage aufs neue die inneren Spannungen, die damals, kurz Ivor und nach Berchtesgaden, über uns und den Geschicken unseres Landes' lasteten Man empfand etwas wie das schleichende

Nähern eines tückischen Untiers, das bald zum Sprunge ansetzen werde und das abzuwehren man keine Waffe und in der ganzen Welt keinen gerüsteten und entschlossenen Freund besitze. Wir haben das Verhängnis, dem wir nicht entgehen konnten, in bitteren und blutigen Jahren durchstanden und sind, nachdem wir Österreicher uns in dem unglückseligen verchamberlainten Sommer 1938 schon verlorengeglaubt hatten, doch noch gerettet worden. ' ,

Eine harte Zeit, diese sieben Jahre des Zusammenlebens in Hitler-Deutschland. Aber sie hat in unserem Volke aufs neue durch einen seltsamen Erlebnisunterridit die Wahrheit erhärtet, daß wir von hüben und von drüben nicht zusammengehören, nicht weil wir Österreicher keine Deutsdien wären, sondern weil uns beiderseits die Natur und die geschiditliche Entwicklung mit einer so verschiedenen Wesensart begabt hat, daß wir wahrsdieinlich vieles mit großem Nutzen mitsammen tun können, aber niemals und um keinen Preis uns verlangen sollen, unter demselben staatlidien Dache zu wohnen.

Hunderttausende Reichsdeutsche, die während des Krieges in Österreich lebten, haben dies verstehen gelernt. Es hat deshalb viel Erstaunen erregt, daß kürzlich dem Führer der westdeutschen Sozialdemokraten, Doktor Kurt Schuhmacher, unwidersprochen nachgesagt werden konnte, er habe bei seinem Besuch in London erklärt, die Grenzen Deutschlands gegen Österreidi seien noch nicht so endgültig gezogen; daß man darüber sprechen könne. Daß Dr. Schuhmacher etwa eine Grenzrevision zugunsten Österreichs in den Bereich der Möglichkeit rücken wollte, kann man kaum annehmen. Vielmehr scheint er zu glauben, daß es für die Gültigkeit der Grenze einen Unterschied ausmache, ob Österreich einem nationalsozialistischen oder einem antifaschistisdien Deutschland gegenüberstehe. Vielleicht ist der westdeutsche Parteiführer zu einem solchen Glauben durch die Erinnerung verleitet, daß es für seine Parteifreunde in Österreich en*e Zeit gegeben hat, da dieser Unterschied für ihre Pläne künftiger Staatsgestaltung bestimmend war. Die Annahme dürfte heute schwerlich mehr stimmen. Das Thema „Anschluß“ ist kein Saisonartikel,

der, je nach warmem oder kaltem Wetter, größeren oder kleineren Verkehrswert haben kann. Es wird nicht lockender, wenn es letztlich unter dem Titel einer phantastischen alemannisch-süddeutschen Union auftaucht oder wenn es aus München als Föderation der oberen Donauländer, Württemberg, Bayern und Österreich, präsentiert wird. Bei allem Verständnis für das einer solchen Konstruktion zugrunde liegende Bestreben, in einem solchen Föderativplan für Württemberg und Bayern eine Sicherung gegen einen künftigen Zentralismus zu erhalten, und bei aller Aufrichtigkeit des Wunsches, unsere bayrischen und württembergischen Nachbarn möchten Herren im eigenen Hause bleiben, wünschen wir in aller Freundschaft dasselbe für uns. Zumal keine Gewißheit dafür besteht, daß che staatsrechtlichen Formen, die der unruhig bewegten Gegenwart entspringen, auch in Zukunft Lebenskraft behalten oder etwa nur die Brücke für die Rückkehr zu alten Reichsideen bilden werden.

Es soll ganz klar sein: Der Österreicher will mit nationalistischen Experimenten nichts zu tun haben. Ihm ist das Schicksal zuteil geworden, auf einem Fleck Erde zu stehen, an dessenFreiheit undUn-abhängikeit er nicht rühren könnte und sich niemand anderer vergreifen dürfte, ohne die Statik abendländischer Friedensordnung in Gefahr zu bringen. Er bekennt sich zu diesem Schicksal und der sich daraus ergebenden Bindung. Die Lebensfrage Österreichs ist eine Lebensfrage des allgemeinen Friedens.

Das volle Erfassen dieser Stellung ist das Fundament österreichischer Politik. Das gilt für heute, und es gilt für immer. Die Folgerung aus diesem Tatbestand verpflichtet Österreich, aber sie spricht ebenso zu den Staatsmännern, die jetzt die hohe Verantwortung tragen, einen dauerhaften Frieden der Welt zu begründen.

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