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Überleben - trotz Protesten

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Schon seit über einem Menschenalter bemühen sich Wissenschaftler oller Disziplinen, vom Mediziner über den Biologen bis zum Juristen, ihren Mitmenschen an Hand von drastischem und zugleich erschütterndem Beweismaterial klar zu machen, daß die ständig steigende Verschmutzung von Luft und Wasser allmählich den Lebensnerv jeßlicher Existenz auf dem Planeten Erde angreift und ihn zerstören wird, wenn nicht schnelle und wirksame Maßnahmen dieser tödlichen Verseuchung energisch Einhalt gebieten. Bis vor kurzem aber bewiesen wir alle, angefangen vom einzelnen Bürger bis zu den verantwortlichen Staatsmännern und Regierungen, gegenüber dieser drohenden Gefahr eine Laxheit, die nur mit der aus dem Gleichgewicht geratenen Mentalität eines Selbstmörders verglichen werden kann. Industrien und Stadtverwaltungen pumpten und pumpen noch immer ohne Rücksicht auf Verluste ihre meist nur unzureichend geklärten Abwässer in Flüsse, Seen und Kanäle, selbst weite Meeresstriche bleiben von dieser existenzvernichtenden Umschichtung des biologischen Haushaltes der Natur nicht verschont.

Stolz und mit großen Worten verkünden wir die zivilisatorischen Errungenschaften unseres zwanzigsten Jahrhunderts, preisen die Steigerung des menschlichen Durchschnittsalters auf 70 Jahre als einen Erfolg intensiver medizinischer Forschung und einer ihr mit kühnen Experimenten dienenden Pharmazie. Und vergessen im gleichen Atemzug darauf, daß diese pharmazeutischen Produkte für unsere Daseinsverlängerung überwiegend aus chemischen Werken stammen, deren flüssiger Abraum mit dazu beiträgt, ein Massensterben von Fischen zu verurachen und zugleich ein gigantisches Anwachsen schädlicher Algen hervorzurufen, die uns das Baden und Schwimmen in diesem vergifteten Element verleiden oder gar unmöglich machen.

Zu gleicher Zeit aber lastet über den bevölkerungsmäßigen Ballungszentren aller Kontinente je nach klimatischen Bedingungen eine unheilvolle Dunstwolke aus Abgasen aller Art, die aus dem Fabrifcschlot genauso dringen wie aus den Auspuffrohren von Millionen Autos. Den Bürgern in Tokio und in vielen großen amerikanischen und europäischen Städten prophezeien die Experten, daß sie in etwas mehr als einem Dezennium bei gleich stürmisch fortschreitender technischer Entwicklung ihr Leben nur mehr unter dem Schutz von Gasmasken werden fristen können.

Was die immer eindringlicheren Mahnworte der Fachleute kaum erreichten, hat nun in den letzten Monaten der Appell und die Tat des US-Präsidenten Richard Nixon in Bewegung gesetzt: die Weltöffentlichkeit beginnt aus ihrer Lethargie und Gleichgültigkeit gegenüber diesem schwerwiegenden Problem aufzuwachen. Die Massenmedien sind die entscheidenden Träger dieser Kampagne.

Zu begrüßen, daß sich auch unser Fernsehen schon in dieser Phase in diese weltweite, lebensnotwendige Aktion aktiv eingeschaltet hat. Kurt Tozzer zeigte uns in seiner letzten „Horizont e“-Sendung klar, scharf und kompromißlos den Status quo der Verseuchung unserer Umwelt, und es entstand in sachlicher Nüchternheit ein Bild, das einen das Grausen lehren konnte. Sicher war dieser Bericht zum Auftakt der vierwöchigen ORF-Kampagne „Überlebe n“, die während dieses Zeitraumes ihr Problem in alle Programmsparten des Fernsehens — leider nicht in Koordination mit dem Hörfunk — hineintragen wird, so mandiem unbequem. Zumal der Österreicher es als persönliche Beleidigung auffaßt, wenn man ihn zwingt, Illusion gegen Wirklichkeit einzutauschen.

Weniger zu begrüßen aber ist es, daß die mit Recht angeprangerten Zustände sofort die geschäftemacherischen Protestler und Interventionisten auf den Plan rief, um diese harte Kritik am liebsten gleich abzuwürgen oder bei den noch zu erwartenden Enthüllungen so zu verwässern, das sie schließlich wieder in der Kloake beschwichtigender Bequemlichkeit versandet. Hoffentlich bleibt der ORF in dieser Frage so hart, wie man es seinem Generalintendanten oft vorwirft.

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