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Vom Wort zum Schlagwor
Selbst wenn sich der seinem großen Namen Ehre machende Herausgeber auch des sparsamen, aber prägnanten Begleittextes enthalten hätte: Die hier ' publizierten Quellendokumente sprechen nicht nur als Einzeltexte, sondern als ein Ganzes für sich. Knappe eineinhalb Jahrhunderte bilden den Zeitraum, innerhalb dessen alles, was in diesem respektablen Band vereinigt ist, in Deutschland nicht nur geschrieben und konzipiert, sondern auch mit heute unvorstellbarer Leidenschaft diskutiert und mit mehr oder weniger Effektivität verwirklicht worden ist. Welche Entwicklung aber hat die Politik in diesem Zeitraum genommen, welch erschreckender, aber auch befreiender Wandel ist in der historisch gesehen kurzen Epoche eingetreten! Mit Recht stellt Mommsen den philosophischen Traktat, die prinzipielle Thesendarstellung an die Spitze der vier für das 19. Jahrhundert bestimmenden Gruppen: der Konservativen, Liberalen, Christen und Sozialisten. Die Jahrzehnte vom Vormärz bis 1914 beginnen mit jenen Funda-. mentaluntersuchungen, als deren erste die „Elemente der Staatskunst“ von Adam Müller gelten kann, während das Manifest der Kommunistischen Partei von Marx und Engels diese Gründerperiode abschließt. Im folgenden „silbernen Zeitalter“ der politischen Theorie dominiert noch immer die grundlegende, vom Tagesgeschehen zu den ideologischen Prinzipien ' vorstoßende Untersuchung. Bronzen und gußeisern sind dann die Programme der Parteien in der Weimarer Republik, von den hektischen Aufrufen der Spartakisten bis zum makabren Pomp der Nationalsozialisten. Merkwürdig dann die in unseren eigenen Tagen verspürte Wandlung im Stil.
Nach 1945 dominiert noch einmal das religiös gestimmte große Pathos, die konzeptive Idee (so etwa ta Ahlener Programm der CDU von 1947). Dann aber ändert sich das Bild über Nacht und Tag des Wirtschaftswunders. Die Programme werden farbloser, sie gleichen einander streckenweise in frappierender Weise. Das Wort ist zum Schlagwort geworden. Eine Periode des politischen Stils ist wohl für immer zu Ende.
Man kann dieses Werk natürlich nicht in einem Zug lesen, es hat seine Bedeutung ja auch vor allem im Quellen- und verläßliche Nachschlagcharakter. Dennoch aber ist es ein geistiges Erlebnis abenteuerte licher Art, die eine oder andere Fährte durch die Jahrzehnte hindurch zu verfolgen, die Wandlung einer Gesellschaft und ihres Bewußtseins gleichsam im Zeitraffertempo dokumentarisch mitzuerleben. Beginnt man etwa die konservative Leitlinie von der Gegenwart her, kämpft man sich durch die reichlich verwaschene Terminologie der im Verschwinden begriffenen Deutschen Partei zu den markigen Punktationen der Deutschnationalen vor und nach 1918 durch, dann fühlt man sich geradezu erfrischt und befreit, wenn man die reine kühle Bergluft des preußischen Ursprungskonservativismus atmet. Man kann den Weg aber auch umgekehrt gehen. Man kann nach dem kurzen Anlauf der zeitgebundenen Manifeste und Punktationen des deutschen Katholizismus von 1848 sehr schnell die Höhen der Sozial- und Staatsphilosophie in den Programmschriften des alten Zentrums erklimmen. Nun aber gibt es einen immer steiler werdenden Abstieg: Über den phrasenhaft wirkenden Opportunismus der letzten Weimarer Jahre führt der Weg zunächst ins Nichts. Dann kann man mit den ersten CDU-Programmen noch einmal einige lohnende Bergaussichten gewinnen. Und dann... muß man das Buch wohl mit einem gelinden Seufzer aus der Hand legen. Und sich bestenfalls mit gewissen österreichischen Parallelen trösten. Wenn das ein Trost sein sollte...
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