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Mut zur Unpopularitt

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Nur so ist es erklärlich, daß dieser Tage ein bisher nicht nur außerhalb Deutschlands bloß politischen Experten genauer bekannter Mann der FDP, Rubin, mit einem Artikel in der von ihm finanzierten Zeitschrift „liberal“ ungeheures Aufsehen erregte. Der Sturm, den er damit entfesselte, durchschüttelt nicht allein die Reihen seiner Partei; er scheuchte ebenso das Bundeshaus auf und nicht zuletzt die andere Seite des heutigen Deutschlands, die Deutsche Demokratische Republik. Was Rubin zu sagen wußte, gilt nämlich für alle Deutschen gleichermaßen, ohne Unterschied, ob sie nun von Bonn oder von Pankow aus regiert werden.

Die Thesen Rubins klingen allgemeinverständlich. Unausgesprochen sind, sie auch längst wirksam. Das „Vergehen“, welches man ihm vorwirft, hauptsächlich in seiner eigenen Partei, besteht lediglich darin, sie ausgesprochen zu haben.

Rubin äußerte die Meinung, daß die Deutschen, wo immer sie leben, ob in der BRD, in West- oder Ost-Berlin oder in der DDR, endlich sich selbst eingestehen müßten, daß sie einen die Welt von Grund auf verändernden Krieg total verloren hätten und daß der „kalte Krieg“ allmählich zu Ende gehe, woraus sich eine „Stunde der Wahrheit“ ergebe, deren Schlag man nicht straflos überhören könne.

Die Wahrheit aber sei, daß mit Beendigung des „kalten Krieges'1, mit der unverkennbaren Auflösung der NATO, mit der ebenso sichtbaren Krise der europäischen Einigung, die bisherige deutsche Politik irreal geworden sei. Um zu einem neuen Anfang zu gelangen, müsse man nun Tatsachen akzeptieren, die schon vor 22 Jahren hergestellt wurden: die Oder-Neiße-Linie sei als Grenze anzuerkennen, der „zweite deutsche Staat“ müsse zur Kenntnis genommen werden, die „Wiedervereinigung“ sei nur ein bloß rhetorisches Ziel der Außenpolitik, das auf dem bisherigen Weg unerreichbar sei und für das es einen neuen Weg noch nicht gäbe.

Rubin, „Jungtürke“ in der FDP, und obschon selbst Manager der großen Industrie, von seinen Standesgenossen in- und außerhalb der Partei als „Linker“ verschrien (da drängen sich Vergleiche etwa mit Walter Rathenau oder Reichskanzler Kuno auf!), stützt seine Argumente auf Handgreifliches.

Amerika, so schreibt er, suche heute einen Ausgleich mit Rußland, wozu es durch das zeremoniöse europäische Intrigenspiel besonders angeregt wurde; niemals werde Washington wegen der „Deutschen Frage“, wie wichtig diese auch immer sein möge, solche Versuche aufs Spiel setzen. Seit die NATO brüchig geworden ist und Bonn sich auf Paris orientiert hat, ist Bonn nicht mehr „der“ Bundesgenosse Amerikas in Europa.

Ganz ohne Zweifel, meint Rubin, gibt es gegenwärtig überhaupt keine Weltmacht erster oder zweiter Klasse, die eine Wiedervereinigung Deutschlands anstrebe. (Am wenigsten die Franzosen selbst, möchte man hinzufügen, die ja immer noch, die Quadratur des Kreises zu erfinden suchen, nach der es ein Deutschland geben solle, das zwar stärker als Rußland, aber schwächer als Frankreich wäre.) Es sei daher eine von der offiziellen deutschen Politik bewußt als real vorgetäuschte Fiktion, daß die „Wiedervereinigung auf dem bisherigen Wege“ errungen werden könne. Am ehesten wäre, aus Tradition und politischem Sen-sus noch England daran interessiert, das aber wiederum am allerwenigsten dazu in der Lage wäre.

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