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Angleichen oder verändern?

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Die Familie ist von alters her das mißachtete Kind des Kapitalismus, der sie in seiner Frühform zerstört haben soll. Das war der historische Einstieg, geboten von SPÖ-Zen-tralsekretär Karl Blecha, bei der Diskussionsveranstaltung zum SPÖ-Par-teiprogrammentwurf, die sich - von den „Kinderfreunden“ in der sozialistischen „Traditionsgemeinde“ Neu-dörfl im Burgenland veranstaltet - mit dem Thema „Familie und Gesellschaft“ beschäftigte. Und: Jene, die sich heute als „Bewahrer der Familie“ aufspielen, sollten daran denken, daß es die Sozialisten gewesen seien, die sich schon früher, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, für den Schutz der Familie engagierten.

Da die Familienpolitik einen Teil der allgemeinen Gesellschaftspolitik darstellt, erklärte Belcha auch das sozialistische Menschenbild: Nichts anderes als die alte sozialistische Huldigung dem Kollektivismus, in dem die Freiheit des einzelnen dem Kollektiv so untergeordnet ist, das sie untergeht

Das große Problem, mit dem sich die Redaktoren des Programmentwurfs herumzuschlagen hatten, war die Placierung des offiziellen Familienbildes der SPÖ. Die Sozialisten „sind eine Partei, die ihren systemverändernden Charakter nicht leugnet, die sich dazu bekennt, eine neue Gesellschaft anzustreben“. Was aber tun, wenn 61 Prozent aller Österreicher zumindest manchmal während ihrer Erziehung mißhandelt wurden (und diese Ziffer bleibt seit Jahren gleich!), wenn 70 Prozent aller Österreicherinnen meinen, die Frau soll nicht gebildeter sein als ihr Mann (Dipl.-Ing. Ernst Gehmacher), und sogar schon Zusatzanträge eingegangen sind, man möge genau fixieren, daß in einer Familie 50 Prozent der Mann und 50 Prozent die Frau zu leisten habe, andererseits aber neun Prozent der jungen Männer für ein freieres Zusammenleben sind?

Abgeordneter Blecha plädierte für die „Anpassung des (Familienbildes“, eine Angleichung an die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse: „Abbau von Herrschaft und Privilegien durch Partnerschaft, Demokratie und Solidarität“ (die von den sozialistischen Mitarbeitern gefordert wird, egal ob „aus religiöser Auffassung, marxistischer Analyse oder einem anderen begründeten System“).

Sehr schwache Ausführungen, bei denen auch die Genossen gähnten und sie kritisierten, bot Staatssekretär Elfriede Karl, die lediglich von den Tätigkeiten der Bundesregierung alles und jedes als familienpolitisch ausgezeichnet lobte (sogar die verminderten Einnahmen des Familienlastenaus-gleichsfonds).

Hochinteressant dafür das Referat des Direktors des Institutes für empirische Sozialforschung, Dipl.-Ing. Ernst Gehmacher: Zu fordern sei der Ausgleich zwischen den Gefahren des „Cultural lag“ durch den Konservatismus und der totalen Zerstörung durch Extremisten in Einzelfragen. Man solle den „hohen Wert dauerhafter Verbindungen“ betonen und nicht glauben, daß die Schule den Menschen erziehe; „sie kann es nicht“. Die Persönlichkeitserziehung kann nur in der Familie geschehen, mit Emotionen, und nicht durch Vorträge und Lernstoff in der Schule, die den ökonomischen Aspekt die Bedachtheit auf Effizienz (Leistimg!) betont.

Dies brachte Gehmacher den Rüffel ein, er solle „mehr Diskretion beim Thema Schule“ üben, worauf jener konterte, er habe eigentlich noch mehr sagen wollen. Ferner zeigte er die Gefahr des Rückzugs von der Erziehung als Falschinterpretation der Prinzipien des Antiautoritarismus und das Faktum auf, daß die Gesellschaft etwas sehr Zähes sei und sich nur sehr langsam ändert (bittere Erfahrung mancher revolutionärer Parteien).

Viele Dinge in einem Staat kann man durch Gesetze ändern, und man wird großen Zuspruch finden, wenn man Verbotenes erlaubt und möglichst jedem zusätzlich Geld oder Sachleistungen gibt (auch wenn man es und mehr über Steuern wieder eintreibt). Die Auffassung von der Familie aber ist im Menschen tief verankert; darum auch „nichts schockierend Neues“ im Programmentwurf. Doch „wir wollen etwas anderes, als wir jetzt haben; die Familienrechtsreform ist ein langer Prozeß...“

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