7000946-1987_25_04.jpg
Digital In Arbeit

Auch Widerstand ist Bürgerpflicht

19451960198020002020

Warum gab es hierzulande zu allen Zeiten weniger Widerstandskämpfer als anderswo? Weil wir immer wieder gelernt haben, uns anzupassen, um zu überleben. Das gilt heute noch.

19451960198020002020

Warum gab es hierzulande zu allen Zeiten weniger Widerstandskämpfer als anderswo? Weil wir immer wieder gelernt haben, uns anzupassen, um zu überleben. Das gilt heute noch.

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt unveräußerliche und unverletzliche Rechte des Menschen, die vor jeder staatlichen Rechtsordnung bestehen. Dieser Rechte kann sich kein Mensch begeben, und diese Rechte kann ihm niemand nehmen. Mit ihnen hängt das Widerstandsrecht zusammen.

Neben der Vorstellung der vorstaatlichen Rechte trägt die Überzeugung, daß jeder Machthaber an das Recht gebunden ist, das Widerstandsrecht. Herrschaft ist ein Bund, ein Bündnis, ein Vertrag zwischen Menschen. Der Machthaber ist nur so lange und so weit Herrscher, als er auf dem Boden des Rechts handelt. Bricht er das Recht, so wird das Widerstandsrecht aktuell.

Auf diesen Vorstellungen beruht unser Verfassungsstaat: Grund- und Freiheitsrechte, Bindung an Verfassung und Gesetz, Rechtsschutz- und Kontrolleinrichtungen.

Für Europa ist aber in weiten Bereichen das Paradoxon festzustellen, daß mit der Erreichung des Rechtsstaates und der Demokratie, die allerdings im Alltag nur in Ansätzen vorhanden waren, die Tradition der Freiheit und damit das Widerstandsrecht in Vergessenheit gerieten. Vergeb lich sucht man in der deutschen und österreichischen Rechts- und Staatstheorie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts nach dem Widerstandsrecht.

Offenbar war man sich der Errungenschaften allzu sicher oder man sah das Widerstandsrecht als etwas Schlimmes an und verdrängte es aus Universität und Bewußtsein.

Der Mangel einer Tradition und eines Trainings der Freiheit sind Gründe, warum zum Beispiel nach 1938 weniger Widerstandskämpfer in Erscheinung traten als anderswo.

Die österreichische Geschichte ist von Niederlagen der Freiheit und des Widerstandes, geprägt. Immer wieder haben wir gelernt, uns anzupassen, um zu überleben. Jahrhundertelang und gerade auch im 20. Jahrhundert wurden in Österreich immer wieder Menschen verfolgt, in die Emigration oder Resignation getrieben, welche Nein-Sager waren.

Wir haben lange gelernt, zu schweigen, den Mund zu halten, hinunterzuschlucken, zu gehorchen. Wir haben zu lange zu wenig gelernt, zu sprechen, zu widersprechen, zu diskutieren. Widersprechen und Widerstand muß man lernen, üben, trainieren.

Die Revolution 1848, die vielleicht einzige Revolution von unten, ist ins Unterbewußtsein verdrängt worden. Sie blieb uns nicht Verpflichtung und Tradition. Sie wurde von Monarch und Militär niedergeschlagen.

Es gibt keine Revolutionsgasse, die Herrengasse blieb. Schulen wurden nicht nach Revolutionären, sondern nach Konterrevolutionären benannt. Denkmäler sind Monarchen gewidmet, Plätze nach Herrschern benannt, Revolution und Republik gingen leer aus.

Eine historische Belastung der Freiheit und des Widerstandes bedeutet es auch, daß der Weg zum

Rechtsstaat und zur Demokratie durch außenpolitische und militärische Niederlagen des alten Österreich erst geebnet werden mußte. Verfassungen des 19. Jahrhunderts sind Beispiele dafür. Und erst der Untergang Altösterreichs 1918 war der Aufgang der demokratischen Republik.

Österreichs Aufstieg zum liberalen Rechtsstaat, zur Demokratie, zur Republik war auch das Ergebnis österreichischer Niederlagen. Die Freude über die Freiheit, insbesondere über die Freiheit auch der anderen, wurde kaum lebendig.

Die praktische Erfahrung mit der Freiheit in der Ersten Republik führte dazu, daß sie erst dann als „das Gemeinsame“ erkannt wurde, als sie verlorengegangen war. Erst der Mißbrauch und der Verlust ließen erkennen, daß man von den Freiheiten einen anderen Gebrauch machen muß.

Wurden die Institutionen der Freiheit in der Ersten Republik zu Instrumenten religionskriegerischer Lager, um die Alleinherrschaft zu erlangen und/oder die Gefahr der Diktatur der anderen abzuwehren, so sind sie in der Zweiten Republik zu Verteilungsinstrumenten von Macht, Ansprüchen und Abhängigkeiten geworden. ,

So entstand in vielen Bereichen eine von Staat und Recht blok- kierte Gesellschaft, in der man Freiheit nicht zuletzt deshalb wenig fühlt, weil man sich nicht zurecht findet und sich nicht rühren kann. Widerstand bleibt aktuell.

Das soll aber nicht heißen, „Widerstandsunrecht“ zu begehen. Der Umgang mit dem Recht soll nicht zur Umgehung des Rechts werden. Die „doppelte Legalität“, die sich in vielen Lebensbereichen durchgesetzt hat, erinnert an die doppelte Moral früherer Zeiten. Diese anerkannte aber, wenigstens dem Grunde nach, die Moral.

Die doppelte Legalität macht dagegen die Rechtsvorschriften vielfach zu totem Recht, während in der Praxis ohne schlechtes Gewissen ein neues „Privatrecht“ gelebt wird. Dieser Weg, den viele auch gehen, um nicht für dumm zu gelten, entspricht nicht einer demokratischen Republik, sondern einem Neofeudalismus mit Telefonrecht.

Zu viele sind Untertanen geblieben. Deshalb geistert immer wieder durch die Meinungsbefragungen das Bedürfnis nach dem starken Mann. Die Republik hat sich noch immer zu wenig durchgesetzt. Man braucht nur an die vielen kleinen Monarchen und ihre Klientelen zu denken, an die verschiedenen Stämme mit ihren Häuptlingen und Spartenprivilegien.

Sozialkartelle und ihre Bürokratien prägen die politischen Institutionen einer Verfassung der Freiheit. Sie bedienen sich gewissermaßen der Technik des Einsiedlerkrebses. Trotz einer Verfassung der Freiheit konnte so eine offene Gesellschaft nicht entstehen.

Republik ist nicht einfach. Sie ist nicht einfach Nicht-Monarchie. Sie verlangt, daß Widerstand zum „Gemeinsamen“ der Republik gehört. Dazu bedarf es aber des Freiheits- und Rechtssinnes.

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und OVP- Stadtrat in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung