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Aufklärung am Ende ?

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Zeitenwende — ein großes Wort, das Wandel in den Grundvoraussetzungen unserer Lebensgestaltung unterstellt. Im vergangenen Jahrzehnt haben sich viele Schreckensmeldungen verbreitet und uns aus unserer sonnigen Zuversicht des unbegrenzten Fortschritts herausgerissen. Auf ihre Aufzählung sei hier verzichtet.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Schwierigkeiten vorübergehender Natur sind oder zu grundsätzlicher Neuorientierung Anlaß geben.

Ernst Schumacher, Autor von „Small is beautiful" und Verfechter der Rückkehr zum menschlichen Maß, behauptet in seinem Buch „Das Ende unserer Epoche" (Rowohlt 1980), daß sich mit der Energiekrise 1973 Grundsätzliches für die Wirtschaft geändert habe. Auf lange Sicht werden wir zu sparsamem Umgang mit Energie gezwungen. Das werde unsere Einsicht erleichtern, Arbeit menschenwürdiger zu gestalten.

Beides sollte dramatische Auswirkungen auf die Organisation der Wirtschaft haben: Nicht immer größere, international enger verflochtene, zentral gesteuerte, technisch gewalttätige Einheiten sind unsere Zukunft. Entflechtung, Uberschaubarkeit, sanfter Umgang mit Mensch und Umwelt sind die Kennzeichen einer neuen Epoche.

In diese Richtung gehen auch die Überlegungen des Physikers Fritjof Capra in seinem Buch „Wendezeit" (Scherzverlag, 1983). Ähnliche Gedanken werden da auf der Ebene der Wissenschaft angestellt. Sie stecke in einer Krise der Wahrnehmung, diagnostiziert der Autor. Ihr Zugang sei zu eindimensional, zu spezialisiert. Heute sei es an der Zeit ein wissenschaftlich fundiertes, aber ökologisch vernetztes Weltbild zu entwickeln und vom linearen Denken Abstand zu nehmen. Das neue Zeitalter werde in den vielfältigen Kategorien der Systemtheorie zu denken lernen und damit die neuen Aufgaben besser bewältigen.

In „Das Ende des naturwissenschaftlichen Zeitalters" (Zsolnay, 1980) wirft Herbert Pietschmann, ebenfalls Physiker, noch tiefer reichende Fragen auf: Ist die Naturwissenschaft mit ihrem Anspruch, in alle wesentlichen Fragen vordringen zu können, nicht zu weit gegangen? Offensichtlich stoße sie heute an Grenzen. Wissenschaft könne eben wegen ihrer einseitigen Abstützung auf eine bestimmte Art des Denkens, die Logik, nur Zeitaspekte der Wahrheit erkennen. Auch ihre Einschränkung auf Meßbares habe diese Folge.

Wissenschaft eigne sich daher nicht als Religionsersatz, wie allzu viele heute annehmen. Ihre begrenzten Einsichten könnten auch niemak? als Grundlage für^die gezielte Gestaltung einer allen menschlichen Bedürfnissen gerecht werdenden Welt von morgen dienen.

Das titanische Fortschrittskonzept der Selbsterlösung, des Ubermenschen, der Gesellschaft, die jeden nach seinen Bedürfnissen versorgt, ist eine Illusion.

Daß das Zeitalter der Aufklärung zu Ende geht, sich als Illusion erweist, versuchte schon vor 30 Jahren der Theologe Romano Guardini aufzuzeigen („Das Ende der Neuzeit", Hess-Verlag, 1950). Dem sich immer machtvoller entfaltenden Menschenwerk sei immer weniger zu trauen. Unsere Kultur werde zunehmend inhuman, weil sie auf einem falschen Menschenbild aufbaut. Niemand erkenne sich in den Einsichten von Biologie, Soziologie oder Psychologie wieder.

Den von der neuzeitlichen Anthropologie gezeichneten Menschen gibt es in Wahrheit nicht, weil der Mensch von Gott gerufene Person sei. Und daran könne er auf die Dauer nicht vorbeileben. Man könne nicht fortgesetzt machtvoll an der Welt herumhantieren, als gäbe es Gott nicht.

Ja, es spricht tatsächlich viel dafür, daß wir uns am Ende einer Epoche befinden, die in der Aufklärung ihren Anfang genommen hat. Ob es eine Zeit der Wende oder des Zusammenbruchs wird, hängt von uns ab.

Jedenfalls aber spielt sich der Wandel schon lange ab und kennzeichnet Strömungen, die folgenschwerer sind als Änderungen des Regierungsstils.

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