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Schwierigkeiten mit der Einfachheit

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„Small is beautiful“, der Titel eines Buches von E. F. Schumacher, ist zum Leitspruch vieler geworden, die in Westeuropa und Nordamerika einen neuen Lebensstil suchen. Zumeist geht es diesen Leuten nicht um eine auf Ästhetik reduzierte Alternative zum gängigen „Way of life“, sondern um einen Weg aus der behaupteten oder wirklichen Krise der Zivilisation.

Den Christen drängt sich in solchem Zusammenhang die Frage auf, ob der Satz „Small is beautiful“ durch das Neue Testament und dessen als Kirchengeschichte gelebte

„Das Recht aller Menschen auf ein menschenwürdiges Dasein trotz Beschränktheit der Ressourcen“

Auslegung nicht nur - wie Schumacher meint - gedeckt, sondern sogar unerhört vertieft werde.

Paulus bekennt den Christen in Philippi, er verstehe es gleicherweise, im Uberfluß zu leben wie im Mangel. Der Uberfluß dieses Zeltmacher-Apostels dürfte sich freilich in 'engen Grenzen gehalten haben. Und Jesus selbst läßt sich weder bloß als Asket noch als Feind aller Reichen verstehen.

Dennoch ist der biblische Weheruf über jene Reichen, die des armen Lazarus ebensowenig achten wie der eigenen „armen Seele“, in der Kirche nie ganz vergessen worden und hat immer wieder Armutsbewegungen ausgelöst, deren heutige Vielfalt die Lebenskraft des Christentums unter Beweis stellt.

Im Gefolge dieser Bewegungen wird sich ein christliches Plädoyer für ein einfaches Leben, für Selbstbeherrschung, Gelassenheit und Güte, vor allem auf zwei Gründe stützen:

Die erste Begründung ergibt sich aus dem Recht aller Menschen auf ein menschenwürdiges Leben bei gleichzeitiger Beschränktheit der Ressourcen.

Die zweite Begründung setzt an bei der bekannten Feststellung Goethes, der Mensch könne nichts schwerer ertragen als eine Reihe glücklicher Tage. Demzufolge dürfte die Menschheit selbst mit unbegrenzten Ressourcen (wenn es sie gäbe) nicht so orgiastisch umgehen wie der be-

rühmte Fuchs im Hühnerstall, wollte sie ihr Glück nicht verfehlen.

Dieses Glück wächst offenbar aus dem bewährten Wechsel von Festzeit und Fastenzeit. Und Fasten soll, religiös verstanden, nicht nur etwas einsparen, das dann anderen zugute kommt. Zu dieser ethischen Komponente fügt sich die religiöse: Fasten (in allen möglichen Bedeutungen dieses Wortes) will dem unersättlichen Ich einen Raum abgewinnen, in welchem Gott wohnen kann und in welchem andere Menschen wohnen können.

Zu seiner Begründung und Bestärkung bedarf ein einfaches Leben keiner Krise. Innerhalb und außerhalb des Christentums wurde es immer wieder als Wert erkannt und praktiziert. Private und gesellschaftliche Krisen sind allerdings starke Anstöße, sich dieses Wertes zu erinnern, und es ist eine weitverbreitete Meinung, daß der gegenwärtige Trend zu „Alternativen“ vor allem Folge einer gesellschaftlichen Strukturkrise sei.

Das Ausmaß dieser Krise ist allerdings kontrovers. Zu einer Minimali-sierung neigt beispielsweise der Politologe Kurt Sontheimer, der aus Anlaß des jüngsten Weltspartages in Wien gefragt hat, ob denn diese Krise wirklich in der Gesellschaft oder nicht bloß im Kopf der Kritiker stattfinde. Krise wird hier verstanden im engen Sinn als Bedrohung von Bestand und Kontinuität eines politi-

schen Systems, einer Wirtschaftsordnung oder bestimmter Institutionen einer Gesellschaft.

Sontheimer bestätigt den demokratischen Industriegesellschaften ungebrochene Lebenskraft und äußert herbe Kritik an „Krisenrhetorik, romantisch verbogenen Urteilen diverser Umweltschützer“, am Gebrauch von Leerformeln, wie „mehr Lebensqualität“, an der geplanten „Demontage “technologischer Errungenschaften“ und der Desavouierung des „demokratischen Leistungsprinzips“.

Viele nachdenkliche Leute, zumal Christen, werden sich von Sonthei-

„Weihnachten ist trotz Krippe und Stall nicht auf Moral und Politik reduzierbar“

mer dankbar bestätigen lassen, daß es hierzulande keine Generalkrise gibt. Sie werden gern das ihre beitragen, damit es so bleibe, und werden weder die Faulheit zur Tugend erheben noch die Gesellschaft auf ein Rousseausches Schäferidyll hin reformieren wollen.

Dennoch bleiben große Fragen: Was ist mit den großen und kleinen Krisen der anderen, mit Hunger und Massenelend in den Entwicklungsländern (worüber Sontheimer kein Wort verliert) und mit hiesigen

Kleinkrisen, die gewiß nicht nur in den Köpfen links georteter Intellektueller sitzen, sondern vor allem im Leben der einfachen Menschen?

Was soll ein halbwegs informierter und ethisch sensibler Mensch, was soll ein Christ tun angesichts der höchst widersprüchlichen Diagnosen und Prognosen wirklicher oder vermeintlicher Experten über Chancen und Gefährdungen der Gesellschaft? Gewiß soll er sich möglichst umfassend informieren, damit ihn der Vorwurf, er moralisiere ohne Sachkompetenz, nicht zu leicht treffen kann.

Aber alles Nachdenken führt aus dem Widerspruch der Modelle und Lösungsvorschläge nicht heraus, sondern stellt auf höherer Ebene neuerlich vor eine Entscheidung: Es ist nicht die Kleistsche Wahl zwischen nichts und allem; es ist die Wahl zwischen Nichtstun und Einigestun.

Könnten etwa ethisch sensible Lehrer, gar Christen, auf Uberstunden verzichten, um arbeitslosen Universitätsabsolventen einen Arbeitsplatz zu verschaffen? Solche und ähnliche Beispiele würden zur moralischen Stabilisierung in diesem Land beitragen und vielleicht auch die Ressentiments mancher Arbeiter abschwächen, die glauben, Christen und Kirche trügen durch teilweise Unterstützung der Kampagne gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf Mitschuld an der wachsenden Arbeitslosigkeit.

Haben solche, zu Weihnachten vorgelegte Gedanken etwas mit diesem Fest des Glaubens zu tun? Weihnachten ist trotz Bethlehems Krippe und Stall nicht auf Moral und Politik reduzierbar. Der Glaube an die Menschwerdung Gottes inspiriert aber auch diese Bereiche und verträgt sich mit manchen ihrer Ausprägungen überhaupt nicht.

(Der Autor ist Hochschulseelsorger in Graz.)

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