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Beserlpark-Demokratie

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Mehr Rechte und Aufgaben für den einzelnen Bürger und die Bezirke? Die Dezentralisierung der Verwaltung ist in der Bundeshauptstadt auf halbem Weg stehengeblieben.

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Mehr Rechte und Aufgaben für den einzelnen Bürger und die Bezirke? Die Dezentralisierung der Verwaltung ist in der Bundeshauptstadt auf halbem Weg stehengeblieben.

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Die auf die Gemeindeordnung für die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien 1850 zurückgehende „Verfassung der Bundeshauptstadt Wien“ wurde 1920 erlassen. Sie hat ihre letzte größere Novellierung 1978 erfahren. Eine kleinere Novellierung erfolgte im Dezember 1986. Dabei kommt der sogenannten Dezentralisierung die größte Bedeutung zu.

Diese Novellierung ist der vorläufige Schlüßpunkt eines verfassungspolitischen Prozesses, der vor allem über Drängen der Wie-

ner Volkspartei in Bewegung gesetzt und gehalten worden ist.

Dabei fiel das sozialistische Mißtrauen gegen die direkte Demokratie auf. Zwar hat Bruno Kreisky mehrmals in seiner Partei versucht, ihre, seiner Meinung nach „längst veralteten Bedenken gegenüber den Einrichtungen von Volksbegehren und Volksabstimmungen“ zu diskutieren, aber das sozialistische Mißtrauen gegenüber der direkten Demokratie hat gerade in Wien Tradition.

Die direkte Demokratie auf Bezirksebene wurde von den Sozialisten abgelehnt. Auch die Dezentralisierung der Novelle 1986 brachte keine große, sondern nur eine kleine Aufwertung der Bezirke.

Als es zu Jahresbeginn 1986 wieder zu Parteiengesprächen kam,

lehnten es die Sozialisten ausdrücklich ab, über eine große Verfassungsreform zu diskutieren und zu verhandeln. Es konnte nur mehr noch über eine partielle Dezentralisierung gesprochen werden, und zwar nur in der Form, wie sie sich die Sozialisten vorstellten.

Was bedeutet Dezentralisierung? Neu ist die Entscheidungsbefugnis bezüglich Herstellung und Instandhaltung von bestimmten Einrichtungen:

Die Bezirksorgane können demnach über die bauliche Instandhaltung von Kindertagesheimen, Schulen, die Herstellung und Instandhaltung von Straßen, Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Zonen, von Verkehrszeichen, Bodenmarkierungen und Verkehrslichtsignalanlagen, von Grünanlagen, Baumpflanzungen und Spielplätzen sowie über die Führung von Pensionistenklubs selbst entscheiden. Die Genehmigung von Ausgaben hinsichtlich dieser Angelegenheiten obliegt je nach Höhe entweder der Bezirksvertretung, ihrem Finanzausschuß oder dem Bezirksvorsteher.

Rechtlich gibt es allerdings kein aus dem Gemeindebudget ausgegliedertes Bezirksbudget, das den Bezirken überantwortet ist. Die Bezirke bekommen nicht Geld in die Hand und können bezüglich Ausgaben, die von ihnen beschlossen wurden, auch keine Auftragsvergabe selbständig durchführen. Die Geschäftsbesorgungskompetenz verbleibt beim Magistrat.

Jene Angelegenheiten, welche ohne budgetären Ansatz der Bezirksvertretung zur Besorgung übertragen sind, finden sich nunmehr nicht mehr in einer Verordnung des Gemeinderates, sondern in der Wiener Stadtverfassung selbst.

In der Verordnung aus 1979 waren 14 Angelegenheiten aufgezählt, nunmehr sind es in der Verfassung 17. Zwei davon sind Anhörungsrechte der Bezirksvertretung, eine Besorgungszuständigkeit des Bezirksvorstehers und zwei Informationsrechte. Ganz neu ist nur die „Mitwirkung bei Maßnahmen der Stadterneuerung“ , drei Gegenstände hat die Bezirksvertretung verloren, wobei diesbezüglich der Praxis Rechnung getragen wurde.

In Paragraph 103 h sind alle jene Angelegenheiten aufgezählt, die zum Wirkungsbereich der Bezirksvorsteher gehören. Es sind nunmehr 22 Angelegenheiten, in der Verordnung 1979 waren es 23. Es hat sich also sowohl bei den Angelegenheiten, die der Bezirksvertretung zur Besorgung übertragen sind, als auch bei jenen der Bezirksvorsteher praktisch wenig verändert.

Der erste Schritt der Dezentralisierung war ein kleiner Schritt. Immerhin hat er symbolische Bedeutung, ist doch

Wien das Sinnbild des Zentralismus. Leopold Kunschak hat seinerzeit festgestellt, daß die Demokratisierung des Verfassungsrechts in Österreich auf der Wiener Ebene stehen geblieben ist und daß der Zentralismus, der der Monarchie mit Recht vorgeworfen wurde, gerade in Wien fröhliche Urständ’ feiert.

Der kleine Schritt der Dezentralisierung ist wenig, aber doch ein Bruch mit der Tradition und wird deshalb von Wiener Sozialisten geradezu mit einer Revolution verglichen.

Die Dezentralisierung aber muß weitergehen. Dabei geht es nicht mehr um eine Wiedergutmachung des historischen Unrechts an den Vorstädten und Vororten, sondern um die Zukunft der Urbanität, ökologische Modernisierung setzt nicht nur den Fortschritt zu einer vor sorgenden Umweltpolitik voraus, sondern auch den Fortschritt zu mehr Rechten der Bürger und der dezentralen Einheiten.

Dezentralisierung soll Aufwertung der Bezirke durch Aufwertung der Bürger und der Bezirksvertretungen sein. Damit wird dem Prinzip Verantwortung mehr Rechnung getragen, das Subsidiaritätsprinzip wird verwirklicht und der Mitarbeit aller am öffentlichen Leben Rechnung getragen. Gerade die Probleme des Alltags sollen gemeinschaftlich diskutiert und gelöst werden.

Die neue Selbstverwaltung besteht darin, daß die Verwaltung mit der Bevölkerung unmittelbar verbunden wird, besonders wenn es sich um bevölkerungsnahe Aufgaben handelt.

Die neue Selbstverwaltung ist von unten her aufzubauen, vom kleinen Kreis, in unmittelbarer und mittelbarer Demokratie und in der Zuwendung zu bevölkerungsnahen Aufgaben des Alltags. Sie entsteht in der nächsten Beziehung des Menschen, wo heute die eigentliche politische Reformarbeit zu leisten ist.

„Politisch“ werden diese Nahbeziehungen durch die Verantwortung für das Ganze, durch die Solidarität des einzelnen mit den anderen, mit den zukünftigen Generationen und mit der Natur.

Wenn auch die jetzige Verfassungsnovelle weder vom Mut zum Neuen noch von Demut gegenüber dem Bürger geleitet, sondern von bürokratischer Wehmut begleitet ist, so kann sie doch der Beginn eines neuen Weges werden. Die Verfassungsreform in Wien muß weiter gehen!

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und ŪVP- Stadtrat in Wien.

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