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Ein machtvoller Stadt-Mandarin

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In den Medien wird über sein Gehalt, nicht aber über den Gehalt seines Amtes berichtet. Dabei ist der Magistratsdirektor von Wien mit keinem zweiten Beamten vergleichbar.

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In den Medien wird über sein Gehalt, nicht aber über den Gehalt seines Amtes berichtet. Dabei ist der Magistratsdirektor von Wien mit keinem zweiten Beamten vergleichbar.

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In unserer „Republik der Mandarine" hat der Magistratsdirektor von Wien eine Sonderstellung, die sich mit der Stellung eines anderen Magistratsdirektors, Landesamtsdirektors oder der eines Sektionschefs nicht vergleichen läßt.

Sie ergibt sich zunächst aus der Sonderstellung Wiens, aus dem Doppelcharakter als Bundesland und Ortsgemeinde: Für die Bundeshauptstadt Wien als Land hat der Magistrat die Funktionen eines Amtes der Landesregierung, fungiert also als Hilfsorgan sowohl für die Angelegenheiten der Landes- als auch der mittelbaren Bundesverwaltung.

Der Magistratsdirektor hat auch die Funktionen des Landesamtsdirektors. Zu ihnen gehört z. B. die Gegenzeichnung der Landesgesetze für Wien.

Wie in allen Städten mit eigenem Statut führt der Magistrat die Geschäfte der Gemeinde und die Angelegenheiten der Bezirksverwaltung.

Da sich die öffentlichen Aufgaben auf Gemeinde-, Bezirks-, Landes- und Bundesebene ungeheuer vermehrt haben und vermehren, teilt sich dies auch der

Stellung des Magistratsdirektors mit.

Die Sonderstellung des Magistratsdirektors ergibt sich weiters aus der Konzentration und Zentralisation, welche die Wiener Verwaltung prägen. Sie ergibt sich auch daraus, daß er dem Bürgermeister unmittelbar unterstellt ist, dem die Wiener Stadtverfassung eine Spitzenposition einräumt, wie sie sonst keinem politischen Amtsträger in Österreich zukommt.

Dem Magistratsdirektor obliegt vor allem die Leitung des gesamten inneren Dienstes des Magistrats. Er vertritt den Bürgermeister als Vorstand des Magistrats.

Darüber hinaus besorgt er die ihm in der Geschäftseinteilung für den Magistrat vorbehaltenen und nach sonstigen Vorschriften zugewiesenen Aufgaben. Er unterstützt den Bürgermeister als Landeshauptmann in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung.

Er führt die oberste Aufsicht über alle Ämter des Magistrats, über seine Anstalten und sonstigen Dienststellen. Ihm kommt deren oberste Leitung in Vertretung des Bürgermeisters als Vorstand des Magistrats zu.

Er ist berechtigt, alle beim Magistrat anhängigen Dienststücke einzusehen und unter gleichzeitiger Verständigung des zuständigen amtsführenden Stadtrates bezüglich ihrer Erledigung Weisungen zu erteilen oder sich die Erledigung vorzubehalten.

Diese Befugnisse stehen dem Magistratsdirektor auch gegenüber Bediensteten mit Sonderaufgaben zu. Er hat neben dem Bürgermeister „das Weisungsrecht gegenüber allen Bediensteten der Gemeinde" und ist damit Herr über ein Heer von über 60.000 Bediensteten.

Er ist neben anderen Organen zur Beaufsichtigung sowie zur Geschäfts- und Betriebsführung der Unternehmungen der Stadt Wien berufen und kann in Wahrnehmung dieser Aufgabe unter gleichzeitiger Verständigung des amtsführenden Stadtrates für die städtischen Unternehmungen alle anhängigen Dienststücke einsehen und Weisungen erteilen. Die Berufung des Generaldirektors und der Direktoren der städtischen Unternehmungen erfolgt auf seinen Antrag.

Er hat das Recht, den Sitzungen des Stadtsenates mit beratender Stimme beizuwohnen und zu den in Behandlung stehenden Gegenständen Anträge zu stellen. Das gilt auch in bezug auf alle Gemeinderatsausschüsse, Unterausschüsse und Kommissionen. Als Landesamtsdirektor hat er dieses Recht auch hinsichtlich der Sitzungen der Landesregierung.

Der Magistratsdirektor ist weiters Vorsitzender des Berufungssenates, der über Rechtsmittel (gegen Verfügungen oder Entscheidungen des Magistrats im eigenen Wirkungsbereich) entscheidet, der Abgabenberufungskommission, Mitglied der Bauoberbehörde für Wien, aber auch Mitglied des Sparkassenrates der Zentralsparkasse und Kommer-zialbank, Wien.

Die dem Wiener Magistratsdirektor in der Geschäftseinteilung vorbehaltenen Aufgaben sind auf 17 Seiten aufgezählt:

Sie reichen vom „Dienst um die Person des Bürgermeisters, Erledigung der laufenden Bürogeschäfte und persönlichen Aufträge des Bürgermeisters" bis zur Bereinigung der Wiener Rechtsvorschriften, den „legistischen Dienst" und „verfassungsrechtlichen Angelegenheiten (Verfassungsdienst)"; von der „Betreuung der Gäste der Stadt Wien" bis zur Rechtsberatung der städtischen Dienststellen und „Vertretung der Interessen Wiens"; von „Amtsraumangelegenheiten" und „Vergabe der Säle im Rathaus" bis zu grundsätzlichen Angelegenheiten der Kooperation, Information und Koordination im

Bereich der Stadt Wien und zur Entscheidungsvorbereitung für die Stadtentwicklungspolitik.

Dienstaufsicht, Zuteilung, Versetzungen, Entbindung von der Amtsverschwiegenheit, Ausbildung, Prüfungen, Personalbewirtschaftung, Festlegung von Beförderungsrichtlinien, Inspizierung des Dienstbetriebes der städtischen Ämter und Anstalten in sachlicher und personeller Hinsicht (Revisionen), Prüfung und Veranlassung von Sofortmaßnahmen auf Grund von Wahrnehmungen, die die Wiener Stadtverwaltung betreffen, Verwaltungsund Betriebsreform und damit zusammenhängende grundsätzliche Personalangelegenheiten, Organisation von Verwaltungsvorgängen, automationsunterstütz-ter Datenverkehr (Informationsverarbeitung und -kommunikati-on) und dessen Organisation.

Dies alles ist nur ein Ausschnitt und Querschnitt der Agenden des Magistratsdirektors.

Die Fülle und die Art seiner Aufgaben bedeuten eine einmalige Machtposition. Sie machen das faszinierendste Verwaltungsamt Österreichs aus. Der Magistratsdirektor von Wien ist in mehr als nur einem Sinn ein politischer Beamter.

Andererseits ist ihm vor allem das Verwaltungsinnere der Bundeshauptstadt als Rechtsstaat anvertraut. Er muß von Verfassung wegen ein rechtskundiger Verwaltungsbeamter sein.

Mehr als jeder andere Beamte ist der Magistratsdirektor Garant und Symbol für den Rechtsstaat Wien. Er soll darauf achten, daß bei den Wiener Amtsgeschäften alles mit rechten Dingen zugeht, daß der Rechtsstaat vor dem Parteistaat kommt. Den Rechtsstaat braucht Wien wie gutes Wasser zum Trinken und gute Luft zum Atmen.

Der Magistratsdirektor ist „Auge und Ohr" des Bürgermeisters, vor allem nach innen. Er ist „Transformator zwischen Politik und Verwaltung" und zwar in beiden Richtungen, „Großkoordinator" und „Inspektor" der Wiener Verwaltung, ihr großer Manager.

Sein lenkendes Eingreifen durch Planung, Organisation und Kontrolle muß weniger auf die Umwelt als auf die „Inweit" gerichtet sein, insbesondere auf die Bewältigung der Probleme, die aus den hundertfach spezialisierten und vielgestaltigen, personalintensiven und interessengebundenen Institutionen der Wiener Verwaltung entstehen.

Gerade seine Aufgaben zeigen die Angst der Führung vor der Entwicklung der ungeheuer vielfältigen und arbeitsteilig organisierten Verwaltung in mehr oder weniger zusammenhanglose Einzelbereiche, welche zu großes Eigenleben entfalten könnten. Es ist die Angst vor den zentrifugalen Tendenzen, vor der Verwaltungsanarchie und vor dem Zerfall der zentral gelenkten Gesamtverwaltung in Teile.

Trotzdem läßt sich auf lange Sicht das nur zu leicht beziehungslose Nebeneinander- und Nacheinanderfunktionieren der vielen Organisationseinheiten und Institutionen der Wiener Verwaltung nicht verhindern. Sie ist einfach zu groß.

Die Aufgaben werden weiter wachsen, komplizierter werden, die Bedürfnisse der Umwelt der Verwaltung werden sich differenzieren und individualisieren. Die Lösung kann nur in der Dezentralisierung und Demokratisierung liegen. Nur so wird die Zentralpolitik und -Verwaltung entlastet werden.

Solange Politik- und Auf gaben-formulierung zentral erfolgt und die Bezirksebene keine echte Zuständigkeit hat, kann diesbezüglich wenig Bürgernähe und Interesse der Bürger erreicht werden. Erst wenn öffentliche Aufgaben in den Bezirken diskutiert, formuliert und vollzogen werden, kann neue Selbstverwaltung entstehen.

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und ÖVP-Gemeinderat in Wien.

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