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Bruderzwist

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„Mir wäre es lieber, wenn wir in irgendeiner konstruktiven Angelegenheit in der Zeitung genannt würden ... aber das kann man sich leider wirklich nicht aussuchen“, bedauert Karl Schön, seit Juni 1977 Präsident der größten Studentenfraktion, der österreichischen Studentenunion (ÖSU).

Gemeint sind die neuerlichen Richtungskämpfe innerhalb der ÖSU, die schon in vergangenen Jahren immer wieder zu existenzbedrohenden Absplitterungen von der ÖSU geführt haben. Der aktuelle Konflikt innerhalb der ÖSU wird zwischen zwei zahlenmäßig etwa gleichstarken Gruppierungen ausgetragen: Die eine Gruppe nimmt für sich in Anspruch, vorrangig an konkreten hochschulpolitischen Fragestellungen interessiert zu sein, während die andere Gruppe (repräsentiert durch Zentralausschuß-Vorsitzenden Fritz Pesendorfer und die ÖSU-Gruppen an den Hochschulen von Linz und Salzburg) das allgemein-politische Mandat der ÖSU und den gesellschaftspolitischen Auftrag ihrer Studentenpolitik in den Vordergrund schieben.

In letzter Zeit gab es drei Hauptstreitpunkte:

• WährendPesendorferinderöffent-lichkeit massiv für die Einführung der Gesamtschule eintrat, verwahrten sich andere ÖSU-Funktionäre lautstark gegen ein Eintreten für sozialistische Bildungsziele.

• Einzelne ÖSU-Funktionäre - und neben ihnen die beiden Palmers-Verdächtigen Studenten Gratt und Kepp-linger - unterstützten die Einsetzung eines „Russel-Tribunals“ in der Bundesrepublik, um in unserem Nachbarland angebliche Menschenrechtsverletzungen der Öffentlichkeit vor Augen zu führen (Solche Russel-Tribu-nale gab es bisher nur in Vietnam und in Lateinamerika).

• Letzter und heftigster Streitpunkt war ein Diskussionsbeitrag der Linzer ÖSU“ für' äier.'Neuformulierung des ÖSU-Gruhdsatzprogramms. Insbesondere durch einige sehr gewagte Passagen zu den Themen Leistung, Eigentum und Bundesheer haben sich die Linzer ÖSU-Funktionäre den Vorwurf eingehandelt, ein pseudomarxistisches Programm für die ÖSU anzustreben.

Für ÖSU-Präsident Karl Schön bedeutete der Programmbeitrag der Linzer ÖSU den berühmten Tropfen, der zum Uberlaufen führte: Aufgrund der massiv aufgetretenen politischen Differenzen zwischen ÖSU-Führung und Linzer Hochschulversammlung verfugte er brieflich den Hinauswurf der Kameraden. Ebenso erging es den Salzburgern, die sich mit den Linzer „Dissidenten“ solidarisiert hatten. Nach den Statuten der ÖSU entscheidet deren Präsident „Bei Gefahr im Verzug“ stets selbstständig, er hat aber seine Entscheidungen im nachhinein von der Generalversammlung genehmigen zu lassen.

Diesen Schritt wollte Schön letzte Woche setzen: Auf die Bude der CV-Verbindung Norica berief er eine Generalversammlung ein, die erhoffte Entscheidung - sei es zugunsten des Präsidenten oder gegen ihn - konnte aber nicht getroffen werden. Karl Schön hält dennoch unbeirrt an seinem Glauben fest, im hochschulpolitischen und studentischen Bereich eine tragfähige Basis zurückzugewinnen. Ideologische Fragen, und damit wäre die ÖSU ganz gut beraten, sollten nicht unentwegt im Vordergrund stehen. Dann würde es auch nicht gleich so katastrophale Folgen haben, wenn es da und dort unterschiedliche Meinungen gibt, die es in der Geschichte der größten Studentenfraktion übrigens ja immer schon gegeben hat.

Es soll nicht versucht werden, darüber zu rechten, ob eine Studentenpartei für oder gegen das Bundesheer sein darf, ob sie für oder gegen Leistungsbewußtsein auftreten soll und welche bildungspolitischen Ziele die einzigen und richtigen sind. Darum geht es nicht. Worum es geht, das ist die Frage, unter welchen Umständen sich Österreichs Studenten bei einer studentischen Fraktion gut aufgehoben fühlen. Und hier scheint sich immer klarer herauszustellen, daß der überwiegende Teil der Hochschüler kein besonderes Interesse für rein gesellschaftspolitische Probleme hat. Sicherlich hat eine Hochschulfraktion auch Gesellschaftspolitik zu betreiben. Manchmal aber hatte man in der Vergangenheit den Eindruck, die ÖSU betreibe das zuviel an Gesellschaftspolitik, was sich die konservative Gruppierung JES zuviel dem Studenten-Service widmet. Wie überall fast, wäre auch hier ein gesundes Mittelmaß der richtige Weg.

Noch verfügt die ÖSU innerhalb des gesamtösterreichischen Zentralausschusses mit 33 von 65 Mandaten über die absolute Mehrheit. Aber schon seit Jahren verschärft sich bei Hochschulwahlen die ' Tendenz, daß jene Fraktionen, die sich bemühen, auch den apolitischen Kollegen anzusprechen, immer mehr Erfolg haben. Nicht zuletzt deshalb, hat JES dem Ring Freiheitlicher Studenten einiges an Anhängern abjagen können.

Setzt sich diese Tendenz fort, kann die ÖSU ihren Anspruch aufgeben, die größte Fraktion der politischen Mitte zu sein. Dies wird sie aber auch dann aufhören zu sein, wenn sie an den momentanen Zwistigkeiten auseinanderbricht. Die Gefahr nämlich, daß durch eine Scheidung in eine linke und eine rechte ÖSU der studentische Bereich politisch insgesamt stärker polarisiert wird, daß auch extreme Gruppierungen dann wieder Chancen haben, ist nicht gering zu schätzen.

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