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Das Experiment von Urfa schlug fehl

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In der Euphorie über die beiden hervorragenden Weizenernten von 1975 und 1976 nach mehreren Jahren der Dürre beteuerte der türkische Landwirtschaftsminister Korkut özal „Allah ist mit uns”. Für 1977 ist ein Rekordertrag von 14 Millionen Tonnen Weizen vorausgesagt worden, doch haben Prognosen aus Ankara die traditionelle Eigenschaft, überoptimistisch zu sein.

Laute Propagandatrommeln sollen eine weniger erfreuliche Tatsache übertönen: Die überfällige Bodenreform im Versuchsgebiet von Urfa dürfte aller menschlichen Voraussicht nach ein Fehlschlag sein.

Nach dem zweiten Müitärputsch von 1971 war am 19. Juli 1973 endlich ein dreizehntes „Boden- und Agrarreformgesetz” vom Parlament verabschiedet worden. Durch 147 Zusätze hatte es den ursprünglich fortschrittlichen Charakter schon weitgehend eingebüßt. Dennoch wollten verschiedene türkische Parteien seine Durchführung vereiteln.

Erst die Koalitionsregierung Ecevit, die im März 1974 die Verantwortung übernommen hatte, wagte efhšt- hafte Schritte, um den alten Traum „Das Land soll dem gehören, der es pflügt”, einer Verwirklichung näherzubringen.

Die Landreform-Kommission, die direkt dem Präsidialamt und nicht etwa dem Landwirtschaftsministerium untersteht, entsandte Professor Saim Kendier nach Urfa.

Der Professor war ein äußerst höflicher und konsequenter Verhandlungspartner. Zunächst machte er die vom Bodenreformgesetz Betroffenen darauf aufmerksam, daß es ungesetzlich und strafbar wäre, die Besitzverhältnisse durch Verteilung des Landes an Familienangehörige oder Strohmänner zu verschleiern. Richtunggebend sei der Stand von 1961. Dann wies sie der damalige Unterstaatssekretär auf das Zuckerbrot in Form von günstigen Entschädigungssätzen hin, die übrigens seither verbessert worden sind. Ganz nach Belieben sollten die Enteigneten außerdem zwischen Entschädigung in bar, sehr hochverzinsten Staatspapieren und Staatsobligationen oder Aktien einiger privatisierter etatistischer Industrien wählen können. Großgrundbesitzer, die auf diese Weise in Japan und Taiwan zu Industriellen geworden sind, befinden sich heute in finanziell besserer Lage als früher. Aber die türkischen Grundbesitzer haben durchaus nicht nur materielle Interessen. Eigener Boden bedeutet in diesem Lande seit jeher hohes gesellschaftliches Ansehen und politische Macht.

Am 31. März 1975 wurde nach einer’ langen Krise die türkische Koalitionsregierung unter Süleyman Demirel ohne die „Republikanische Volkspartei” gebildet. Da den neuen Herren seine Richtung wenig paßte, beriefen sie Professor Kendier aus Urfa ab.

Urfas Großgrundbesitzer wittern seither Morgenluft Laut Artikel 18 des Reformgesetzes darf Land innerhalb einer Dreijahresperiode nach der Registrierung vom Besitzer nicht verändert, verkleinert oder eigenmächtig verteilt werden. Für den Versuchsbezirk lief die Frist im November 1976 ab. Seither können wieder jene Tarnungsmanöver mit „bodenbeschenk- ten” Angöhörigenoder.Strahmännern beiginnen, die’ weite-ren’Bnteigriungen Vorbeugen.

Zwar sind nur 3,1 Prozent der gesamten bäuerlichen Betriebe in der Türkei über zwanzig Hektar groß, aber sie umfassen 25,4 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Nun war die endgültige Fassung des Bodenreformgesetzes sehr großzügig. Sie legte den Maximalbesitz auf 156 Hektar bewässertes und 312 Hektar unbewäs- sertes Land fest. Vorbildlichen Betrieben, die während der letzten drei Jahre zehn Prozent mehr Ertrag hatten als durchschnittliche im gleichen Distrikt, wird sogar doppelt so viel zugestanden. Dennoch führen die Großgrundbesitzer einen erbitteren Kampf gegen jede Form der Enteignung.

Auf lange Sicht läßt sich in jedem Entwicklungsland der Sieg des Kommunismus nur durch eine vernünftige Bodenreform vermeiden. Großgrundbesitzer, die danach handeln, verlieren nur einen Teil ihres Landes und nichts von ihrem Einfluß. Leider kommt diese Einsicht meist erst eine Minute nach Zwölf.

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