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Das Gewissen

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Ist das Gewissen jenes Organ, das dem Menschen seine unbedingte Verantwortung ins Bewußtsein ruft, ist es die Stimme Gottes, als die es in der Vergangenheit oft bezeichnet wurde? Nach Sigmund Freuds Meinung entsteht das Gewissen durch äußere Einflüsse; durch die Autorität der Eltern und anderer Personen, durch Angst vor Liebesverlust und ähnliches. Die Deutung des Gewissens durch Berufung auf Gott sei eine Illusion. In Wahrheit sei Gott die übersteigerte Gestalt eines Vaters, der droht, verbietet, der auch tröstet.

Freud gibt aber zu, daß seine Deutung des Gewissens seine eigenen Lebenserfahrungen nicht befriedigend erklären kann. „Wenn ich mich frage, warum ich immer gestrebt habe, ehrlich, für den anderen schonungsbereit zu sein und womöglich gütig, und warum ich es nicht aufgab, als ich merkte, daß man dadurch zu Schaden kommt, dann weiß ich allerdings keine Antwort” (Sigmund Freud).

Dazu Heinrich Fries: „Im Leben und in der Entwicklung des Menschen gibt es aber auch Situationen, in denen das Gewissen Eltern, Autoritäten und Konventionen relativiert, ja sogar außer Kraft setzt. Das selbständige, reife und mündige Gewissen fragt nicht danach, ob sein Spruch und seine Entscheidung Liebesverlust, Mißgefühle, Nachteile oder Strafe nach sich ziehen, es fragt vielmehr und vor allem, ob ,es geht', ob das zu verantwortende Tun sich in den Sinn des Daseins fügt.”

Es gibt exemplarische Gewissensentscheidungen, wo Menschen bereit sind, selbst ihr Leben hinzugeben, um ihrem Gewissen zu folgen wie Sokrates, Thomas Morus, Alfred Delp, Dietrich Bonhoeffer, Graf Moltke. Solche Gewissensentscheidungen gibt es auch im Alltag, wo immer Menschen bereit sind, Nachteile auf sich zu nehmen, um ihrem Gewissen treu zu bleiben.

Das Gewissen umfaßt alle Dimensionen des Menschen. Es ist Erkennen und Wissen; die sittlichen Werte werden erkannt. Es ist Wollen und. Streben; der- sittliche Wert wird bejaht, der sittliche Unwert verworfen. Es ist Feude und Schmerz; Freude, wo der Mensch dem Gewissen in seinem Handeln entspricht; Schmerz, wo das Gewissen den Menschen anklagt.

,JDas Gewissen ist ein Ruf, eine Stimme, genauer das Echo einer Stimme. Ruf und Stimme, die in mir sind und zugleich über mich kommen, verweisen auf Person. Die Person aber, auf die das Gewissen als Echo verweist, kann nicht nur die Person des eigenen Ich sein, sondern eine andere, eine wesentlich transzendente Person.” (Heinrich Fries).

15.Teil einer am Buch „Fundamentaltheologie” von Heinrich Fries (Sty-ria 1985) orientierten Serie.

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