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Die Lebenskunst nicht verlieren

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Es sind meist die Schlagworte, die unser Leben beherrschen. Sie verführen aber auch zur Schwarzweißmalerei, wie das neue Losungswort „Wertewan-del” wiederum bestätigt.

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Es sind meist die Schlagworte, die unser Leben beherrschen. Sie verführen aber auch zur Schwarzweißmalerei, wie das neue Losungswort „Wertewan-del” wiederum bestätigt.

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Spätestens seit Hainburg hat sich gezeigt, daß die von allen Seiten angestrebte und betonte Versöhnung von Ökologie und Ökonomie auf sehr wackligen Beinen steht. Vor allem der von ökologischer Seite gerne in den Vordergrund gestellte „Wertewandel” ist zu einem Reizwort für Ökonomen, Manager und Politiker geworden. Wo die einen ökologische Ignoranz vermuten, wittern die arideren ökonomischen Dilettantismus. Wo die einen die Wirtschaft als Problemloser herbeirufen, schwärzen sie die anderen als Problemverursacher an. Quantitatives Wachstum wird ebenso verteufelt, wie der Hinweis auf seine Ersetzung im qualitativen Bereich als naiv abgetan wird.

Wenn der vielbeschworene Wertewandel, der im Grunde j a ein Wandel in den Prioritäten der Werte ist, sich vornehmlich in den ökologischen Problemen zeigt, so geht daraus hervor, daß dieser Fragenbereich kein kosmetisches, kein Oberflächenproblem darstellt. Die Wende zum ökologischen Denken signalisiert einen ähnlich fundamentalen, alle gesellschaftlichen Bereiche umfassenden Prozeß, wie das zu Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert entstandene soziale Problem. Darum läßt sich dem in allen Bereichen unseres Lebens anbahnenden Wertewandel auch nicht mit oberflächlichen Korrekturen begegnen, sondern nur mit neuen Konzeptionen, die Ökologie und Ökonomie in der Tat zu einer einigermaßen gelingenden Einheit zusammenschließen.

Gerade die Fehlentwicklung der letzten Jahre, die unter anderem zu Umweltproblemen, Energiekrisen, Verkehrsinfarkten, aber auch zu zunehmender Arbeitslosigkeit und Konkurrenzunfähigkeit vieler wirtschaftlicher Einheiten geführt hat, sollte ohne Verteufelung als Herausforderung aufgegriffen und akzeptiert werden. Es wäre ebenso verfehlt, die soziale Marktwirtschaft in ihrer bisherigen Gestalt und Struktur zum alleinigen Sündenbock für diese Entwicklung zu machen, wie es andererseits falsch wäre, in ihr ein Allheilmittel zu sehen. Das einseitige Setzen auf quantitatives Wachstum, wie es in den Aufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg notwendig gewesen sein mag, kann für die achtziger und neunziger Jahre nicht mehr den Maßstab abgeben. Die mit der Wachstumseuphorie verbundene Gigantomanie, die sich in immer größeren, immer anwachsenderen und darum auch immer schwerer zu durchschauenden Verflechtungen niedergeschlagen hatte, und die unter anderem zu Absurditäten wie bei der Landwirtschaftsproduktion geführt hat, ist zurückzuschrauben. Sicherlich stellt das vielberufene „Small is beautiful” ebenso kein Allheilmittel dar, aber gerade die im derzeitigen Wertewandel mit eingeschlossene Abkehr von großen, zentralistischen, anonymen zu kleinen, überschaubaren und darum auch für den einzelnen sinnvoll erscheinenden Einheiten muß im wirtschaftlichen Denken der Zukunft Einzug halten.

Die Wirtschaft ist ebenso Problemloser wie Problemverursacher. Es ist ihre Aufgabe, Knappheitsprobleme zu lösen, indem sie Bedürfnisse befriedigt, aber es bleibt fraglich, ob es ihre Aufgabe sein kann, ohne Rücksicht auf Nebenfolgen — wie etwa Umwelt oder Sozialpflichtigkeit — unentwegt neue Bedürfnisse zu erwek-ken. Die Wirtschaft ist zweifellos ein wichtiger Bereich des menschlichen Daseins und als solcher ebenso mit Orientierungen und Werten konfrontiert wie jeder andere menschliche Lebensvollzug. Sie muß darum auch auf einen Wandel in den Prioritäten reagieren, sonst wird sie zum Selbstzweck, mit Profit und Gewinn für ein.ge wenige.

Eaß es in den letzten Jahren vie fach zu Fehlentwicklungen gekommen ist, heißt nicht, daß das gesamte System unseres Wirtschaftens über Bord geworfen werden sollte. Es heißt aber sehr wohl, daß innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen neue Strukturen und Zielsetzungen vorgenommen werden müssen. Es mag ja sein, daß Bürokratie, Steuerdruck und Allgegenwart des Staates eine erhebliche Behinderung für die wirtschaftlich wünschenswerte Entfaltung und Entwicklung darstellen -aber nur darüber zu lamentieren ist zu wenig.

Das Ich nicht verkaufen

Die Abkehr vom reinen Konsum- und Wachstumsdenken hat nicht allein Randgruppen oder besonders idealistische Jugendliche erfaßt. Mag sein, daß der geläufige Wirtschaftsstil darob verunsichert ist. Aber Verunsicherung ist oder kann auch etwas sehr Heilvolles sein. Nach dem ökonomischen Wiederaufbau der jüngsten Vergangenheit steht die Wirtschaft zur Zeit vor der Herausforderung eines ökologischen Wiederaufbaues.

J. M. Keynes hat in seiner Schrift über die wirtschaftlichen Möglichkeiten für unsere Enkelkinder einen beherzigenswerten Satz formuliert: „Die unermüdlichen und zweckbewußten Geldmacher mögen uns alle in den Schoß des wirtschaftlichen Uberflusses mit sich ziehen. Aber nur diejenigen Völker, die die Kunst des Lebens selbst in sich lebendig halten und zu immer höherer Vollkommenheit entwickeln können, die nicht ihr Selbst an die Mittel des Lebens verkaufen, werden fähig sein, den Uberfluß zu genießen, wenn er kommt...”

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

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