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Die Militärgrenze

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1958 erschien in Deutschland unter dem Titel „Wesen und Organisation der Landesplanung“ eine Dissertation in Buchform, in der erstaunlicherweise die einstige österreichische Militärgrenze als Vorläufer modemer Landesplanung bezeichnet wurde. Verfasser war der damalige Direktor des Ruhrsiedlungsverbandes, Dr. Umlauf, der auch in engerer Wahl als Stadtplaner für Wien zur Debatte stand. Diese Einbeziehung des einstigen territorialen Schutzgürtels der österreichischen Monarchie in moderne Landesplanungsideen ist wohl eine der interessantesten Ausstrahlungen dieses längst Geschichte gewordenen Verwaltungsgebildes.

Eine neue, im Sommer 1973 im Rahmen der Schriftenreihe des Heeresgeschichtlichen Museums herausgebrachte wissenschaftliche Sammelpublikation über die k. k. Militärgrenze gibt Anlaß, auch auf diese Aktualisierungen und auf manches Märchen auf diesem Gebiet hinzuweisen. Es mag sein, daß die israelischen Kibbuzim — bewiesen ist da gar nichts — auf die Wehrsiedlungsformen der Militärgrenze zurückgehen, auch die zahlreichen Grenzschutzbestimmungen in den Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie während der Zwischenkrdegszeit — manche davon

im Umfang dicker Gesetzbücher — mögen ihren geistigen Ursprung in den Rechtsanschauungen der Militärgrenze gehabt haben. Sicher ist jedoch, daß im Dritten Reich trotz einer kurzen, während des Zweiten Weltkrieges erlassenen Verfügung zur Einrichtung von Wehrbauern-dörfern (die genaue juristische Form habe ich ebenso vergessen wie die Bezeichnung der beabsichtigten Einrichtung) keine derartige Institution geschaffen wurde. Von Seiten des Reichsnährstandes und des Reichs-ernährungsministeriums wurde jede Teilnahme an einer solchen Aktion ausdrücklich abgelehnt, da man sich als nicht zuständig für jegliche Form von Wehrorganisation bezeichnete. Meine eigenen Arbeiten auf diesem Gebiet entsprangen ebenso wie die anderer Herren, zum Beispiel von Prof. Dr. Wessely, persönlicher wissenschaftlicher Liebhaberei. Mein ursprünglich viel größer angelegtes Buch „Des Reiches Hofzaun“ schrieb ich in Erfüllung eines Verlagsvertrages nach Kriegsbeginn — offen gestanden — schnell und lustlos. Die einzige Aktualitätsbeziehung, die mir während des Krieges zum Thema bekannt wurde, war die Feststellung auf Grund meines Buches im Berliner Ernährungsministerium, daß offenbar das bäuerliche Lehensrecht der Militärgrenze als Vorläufer der nationalsozialistischen Erbhofgesetz-gebung anzusehen sei. Zum Militärdienst untauglich, gelang es mir, mich neben der beruflichen Tätigkeit immer wieder im Wiener Kriegsarchiv mit dem Thema zu befassen, ich bemerkte aber nie etwas von einem offiziellen Interesse. Nach dem Krieg erzählte mir der seinerzeitige Leiter der Bibliothek des Kriegsarchivs, Univ.-Prof. Dr. Stöl-ler, daß in den letzten Kriegsmonaten ein Wehrmachtsoffizier in höherem Auftrag sich nach Unterlagen über die Militärgrenze erkundigt

habe — das einzige Ereignis dieser Art, das von ihm verzeichnet wurde.

Mein Buch wurde nach dem Krieg wegen des Ausdrucks „Reich“ verboten — eine merkwürdige antinazistische Deutung einer maria^there-sdanischen Bezeichnung — aber auf Einschreiten des Leiters der damaligen Literaturkommission, Hofrat Lohr, wieder zugelassen. Wie ich später erfuhr, lief das Gerücht um, daß ich wegen' des Buches von Alliierten verhaftet worden wäre — ein Märchen, das angeblich sogar literarischen Niederschlag gefunden hat. Schließlich gab es Bemühungen des österreichischen Unterrichtsministeriums, eine von mir angelegte Sammlung von Rechtsbestimmungen der Militärgrenze als rechtshistorisch bedeutsames Material zu veröffentlichen, aber die Absicht scheiterte am Mangel an finanziellen Mitteln. Diese Feststellungen erscheinen mir wichtig, um die wissenschaftliche Bedeutung des nunmehr erschienenen Werkes zu unterstreichen und jede politische Legendenbildung von vornherein zu unterbinden.

Gliederung und Stoffbehandlung des Buches ist vorbildlich und bildet so die Grundlage für systematische weitere Forschung. Zur Einführung schreibt Franz Kaindl einen 18 Druckseiten umfassenden Beitrag über Lage, Grenzen, Ausstattung, Bevölkerung, Siedlungswesen und Geschichtsablauf des Militärgrenzlandes, das 400 Jahre gleichermaßen gegen den Partisanenkrieg an der

südöstlichen Grenze wie gegen Pest und Cholera als Sanitätskordon schützte (die Cholera ist nicht erst durch den Imperialismus nach Europa gebracht worden, wie eine Wiener Tageszeitung 1973 angesichts der Epidemie in Neapel behauptete). Prof. Wessely behandelt abschließend die Neuordnung der Militärgrenze in Ungarn nach den Türkenkriegen, P. Krajasich die kroatische Grenze in dieser Zeit, womit wissenschaftliche Basisarbeiten auf Grund der neuesten Forschungen vorliegen. Spezialuntersuchungen über Uniformen und Ausrüstung der Grenztruppen, über die Sereschaner, über die Kartenbestände des Kriegsarchivs zur Militärgrenze schließen an. Abschließend folgt eine fundamentale Untersuchung über die Quellen zur Militärgrenzgeschichte von Professor Wagner und eine umfassende Bibliographie von Prof. Wessely und G. Zivkovic, die auch die neuesten Erscheinungen im Südosten umfaßt. Das Werk ist geeignet, nunmehr die Tür zu einer modernen Grenzsoziologie zu öffnen, die uns noch immer fehlt. Vor allem eine vergleichende Grenzforschung könnte die Wege zu einer neuen staatswissenschaftlichen Disziplin öffnen, die empirisch arbeiten und die verschiedenen Gesellschaftswissenschaften aus ihrer philosophierenden Tendenz herauslösen könnte.

DIE K. K. MILITÄRGRENZE. Beiträge zu ihrer Geschichte, Broschüre, 327 Seiten, zahlreiche Abbildungen auf Kunstdrucktafeln, S 175.—. österreichischer Bundesverlag, Wien 1973.

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