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Auf dem Weg zur „offenen Schule“

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Tatsächlich fordern neuerdings die Redaktionen einiger tonangebender katholischer Zeitschriften die Leser auf, ihre Ansichten darüber zu äußern, ob es noch zweckmäßig und erwünscht sei, das heute existierende System, das konfessionell und weltanschaulich bedingte Privatschulen anerkennt, daneben aber die öffentliche — in' Belgien offiziell — genannte Gemeinschaftsschule fortbestehen läßt, aufrechtzuerhalten, oder aber ob man dieses nicht durch ein „offenes Schulsystem“ ersetzen sollte. Man macht von dieser Gelegenheit zur Diskussion einen ausgiebigen Gebrauch, und es zeigt sich, daß die Meinungen stark auseinandergehen. Auch scheint man sich noch nicht völlig darüber im klaren, was man unter einer „offenen

Schule“ genau verstanden wissen möchte. Die Neuerer setzen sich, wie sie hervorheben, für eine reich nuancierte, vieles umfassende, weitherzige, breitdenkende, universale, moderne Schule ein. Das sind fürwahr Andeutungen, die manches versprechen oder doch vorspiegeln, der Inhalt des Begriffes „offene Schule“ scheint sich dennoch weitgehend mit dem der alten öffentlichen Schule zu decken.

Die Befürworter der „offenen Schule“ (darunter namhafte Schulmänner und Priester) bringen Argumente vor, die es verdienen, sich ernstlich damit auseinanderzusetzen. Der junge Mensch, führt man aus, solle die „anderen“ kennen, mit ihnen in Berührung kommen, sich mit allen vertragen lernen. Das sei in Privatschulen nicht möglich. Ihm solle Ehrfurcht vor der Religion, der politischen Überzeugung, dem Denken und Empfinden der anderen beigebracht werden. Das Trennende dürfe nicht betont, vielmehr solle das Gemeinsame hervorgehoben werden. Man weist auf die Bedeutung einer friedlichen Koexistenz im Staate und in der Welt hin. Die Schule solle das Abbild einer harmonischen Lebensgemeinschaft sein, sie solle als eine Miniaturgesellschaft auf die Verhältnisse in der Fabrik, im Geschäft und Kontor oder beim Militärdienst vorbereiten, wo religiöse und weltanschauliche Gegensätze nicht ins Gewicht fallen dürfen. Das alles gelte ganz besonders für die mittleren und für alle Arten von Fortbildungsschulen, weil diese die Jugend meistens direkt ins Leben entlassen. Man unterläßt nicht, die Gefahren zu unterstreichen, die eine sorgfältig geschützte Erziehung für das spätere Leben des so ängstlich Umhüteten unvermeidlich heraufbeschwören müsse. Der Umstand, daß bei der heutigen Beschaffenheit des öffentlichen Unterrichtes irgendeine Beeinflussung im christlichen Sinne kaum möglich sei, weil die Christen dort wenig in Erscheinung treten, wird in der Argumentation der Reformer als ein sich sehr nachteilig auswirkender Faktor bezeichnet. Man vertritt sogar die Ansicht, daß den Schülern der konfessionellen Schulen eine Berührung mit gewissen Lebenswerten, die als nicht spezifisch christlich beim Unterricht in diesen Lehranstalten vielfach fehlen oder doch in der offenen Schule eher zu ihrem Recht gelangen, durchaus nicht schaden könnte. Wie die christliche Heilslehre in einer pluralistischen Gesellschaft leichter verständlich zu machen sei, so auch in den Schulen, wo andere Ansichten vertreten sind und eines jeden Uberzeugung respektiert werde. Der Gegensatz zwischen Kirche und Welt, behaupten andere, werde durch die konfessionellen Schulen gewissermaßen kultiviert.

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