7066457-1992_06_08.jpg
Digital In Arbeit

Ein magischer Realist

19451960198020002020

George Saiko, österreichischer Schriftsteller aus Nordböhmen, zog an seinem Lebensende Bilanz: Österreich habe ihm „vor allem Fußtritte" versetzt. Die Verleihung des österreichischen Staatspreises, kurz vor seinem Tod 1962, konnte ihm nur noch ein boshaftes Lächeln abringen. Als Saiko starb, war er weitgehend unbekannt. Dem entgegen steht die Hochschätzung Saikos durch eine kleine Kritikergemeinde, zu der sich Hermann Broch, Franz Theodor Csokor, Heimito von Doderer, Fritz Hochwälder und Elias Canetti gesellen. Ihnen erschien Saiko als einer der Großen unter den österreichischen Erzählern des 20. Jahrhunderts.

19451960198020002020

George Saiko, österreichischer Schriftsteller aus Nordböhmen, zog an seinem Lebensende Bilanz: Österreich habe ihm „vor allem Fußtritte" versetzt. Die Verleihung des österreichischen Staatspreises, kurz vor seinem Tod 1962, konnte ihm nur noch ein boshaftes Lächeln abringen. Als Saiko starb, war er weitgehend unbekannt. Dem entgegen steht die Hochschätzung Saikos durch eine kleine Kritikergemeinde, zu der sich Hermann Broch, Franz Theodor Csokor, Heimito von Doderer, Fritz Hochwälder und Elias Canetti gesellen. Ihnen erschien Saiko als einer der Großen unter den österreichischen Erzählern des 20. Jahrhunderts.

Werbung
Werbung
Werbung

Saikos literarisches Werk erschien fast zur Gänze nach dem Zweiten Weltkrieg. Altersgemäß gehört er indes der Schriftstellergeneration der Zwischenkriegszeit an. Saikos Schreiben hat jedoch mehr mit der Erkenntnisliteratur Robert Musils oder Hermann Brochs als mit den elegischen Nachklängen Joseph Roths oder Franz Werfeis gemeinsam. Gerade mit Broch verband Saiko eine enge Freundschaft. Das für Broch so zentrale Erlebnis des europäischen Wertezerfalls stellt auch Saikos Grunderfahrung dar. Beide Autoren sehen die Ursachen für die Katastrophen des 20. Jahrhunderts im Verlust eines auf ein absolutes Wertzentrum hin bezogenen Wirklichkeitszusammenhangs. Wenn Saiko den Anspruch des Dichterischen im „Bereich des Irrationalen" beginnen läßt und in einem solchen Literaturkonzept James Joyce eine zentrale Stellung zuweist, so bezeugt auch dies die deutliche Nähe zu Broch.

In seinen theoretischen Erörterungen beziehungsweise literarischen Essays wie in der Praxis seines epischen Werkes hat Saiko eine neue Darstellungs weise des um die Erkenntnis der Tiefenpsychologie und Psychoanalyse angereicherten psychologischen Romans gesehen und gestaltet. Saiko war Realist, aber nicht im Sinne jener Roman-Realistik, die er als „Kinoliteratur" geringschätzte. Die von ihm so bezeichnete Literaturgattung, jene leicht in visuelle Vorstel-lungsbilderübertragbaren „Schilderungen der naturalistischen Psychologie", grenzte er ab gegenüber dem „sogenannten Kunstroman, jenes Gebilde lyrisch-reflektorischer und metapsychologischer Eindringlichkeit, das die Darstellung des Menschen, seiner Probleme und Konflikte dort beginnen läßt, wo die rationalen Momente der Welterfassung zu Ende sind, wo mit dem Bereich des Irrationalen der Anspruch des Dichterischen anhebt."

Saikos Rang als großer Erzähler erweist sich dort, wo er sein Erzählverfahren in den Dienst der Epochenanalyse stellt. Es geht ihm um die „Formulierung eines Weltbildes", um eine Totalität von innen und außen. Die psychischen Inhalte in seinen beiden Romanen („Auf dem Floß",, JOer Mann im Schilf) wie in den Erzählungen im Band „Der Opferblock" erscheinen auch unter ganz spezifischen historischen Bedingungen. Soziales Milieu und geschichtliche Situation sind deutlich fixiert. Inneres und äußeres Geschehen, gesellschaftliche Konventionen, ideologische und machtpolitische Einflüsse, verdrängte Erfahrungen und triebhafte Kräfte durchdringen und erhellen einander gegenseitig. Das Resultat sind faszinierende literarische Studien einer zerfallenden Welt, deren konkreter Österreich-Bezug unübersehbar ist. Gerade Saikos gezielte Problematisierung österreichischer Selbstvorstellungen läßt erkennen, daß die dargestellte geschichtliche Situation mehr ist als die bloß zufällige und letztlich austauschbare Kulisse für die Gestaltung zeitloser Seelenregungen, wie ein Teil der Sai-ko-Interpreten zu glauben meinte.

George Saiko schrieb zwei theoretische Essays, die man thematisch den beiden Romanen „Auf dem Floß" (1948) und „Der Mann im Schilf (1954) zuordnen kann, nämlich: „Europa als Wunsch und Wirklichkeit" ( 1960) und „Hinter dem Gesicht des Österreichers" (1957).

In diesem Zusammenhang soll allein der .Österreich-Aufsatz' näher betrachtet werden. Dieser ist fast als thematische Entsprechung zum Roman „Der Mann im Schilf anzusehen. Saiko entwirft darin ein nüchternes Bild vom Österreicher jener Zeit und vom „österreichischen Raunzer".

Saiko spricht von der „Labilität seines (des Österreichers) Selbstwertgefühls", das einem „in den Auswirkungen tragischen Konflikt" entspringe, nämlich dem unlösbaren Konflikt zwischen Realität und Wunschdenken: „der Unmöglichkeit, seine groß-österreichische Vergangenheit der Monarchie mit den Gegebenheiten seiner kleinösterreichischen Gegenwart der Republik in Einklang zu bringen." Auf der einen Seite besteht die Realität „Rumpfösterreichs", auf der anderen Seite „das Verlangen nach Wiederherstellung der einstigen Bedeutung, das den Beginn der Wunschphantasie nun kaum mehr verlassen darf. Darin lag der Konflikt des Österreichers der Zwischenkriegszeit, der den zeitlichen Hintergrund des Romans „Der Mann im Schilf bildet. „Patriotismus und Nationalismus" konnten in Österreich nicht „zur Deckung gebracht werden".

Die Monarchie Franz Josephs sah Saiko ohne Romantik; für ihn hatte sie ihre historische Rolle ausgespielt. Er lehnte aber nicht die Geschichte ab, sondern das historische Klischee, das zu einer Art politischer Schizophrenie des Österreichers führte: Lippenbekenntnis zur Republik, aber zugleich Trauerum den entschwundenen Glanz der alten Monarchie.

Saiko übte massive Kritik an jenen Landsleuten, die sich mit der Rolle von „Museumswärtern" begnügten oder sich selbstgefällig vordem Spiegel der Geschichte putzten, um so der Verantwortung vor der geschichtlichen Realität zu entgehen. Saiko weigerte sich, zu diesem österreichischen Selbstbetrug beizutragen.

Der „ungeheure Verdrängungsprozeß, der hier stattfindet", hat ihn erregt. Er war angewidert von dem „freundlich-heiteren, naiv-harmlosen Gesicht" des Österreichers „mit dem Ausdruck des ,Von-nichts-Wissens' und des ,Ich bin es nicht gewesen!'. das sich zuletzt vor den Besatzungs-Alliierten angeblich so glänzend bewährt hat".

Bereits 1957 forderte Saiko vom zeitgenössischen Schriftsteller eine „klärend(e) und reinigend(e), jedenfalls bewußtmachend(e) Auseinander-stezung mit der „diktatorische(n) Phase Österreichs, seine(r) austrofaschisti-schen und nach ihr der nationalsozialistischen Form". Denn nur so ist es möglich, „die Probleme klarzustellen, die Verfälschungen zu entlarven, die Lösungen auf die gegebene politische Realität zu beziehen".

Denn „nur wer die Ursachen und den Weg des eigenen Schicksals erkannt hat, wird fähig sein, ihm künftig Richtung und Ziel zu geben".

Entschieden lehnte sich der Schriftsteller gegen die Ideologie der nationalsozialistischen Ära mit ihrem „einfachen und klaren" Weltbild mit übersichtlicher Wertskala und unbe-zweifelbaren Idealen, gegen deren Simplifizierung des Lebens und gegen ihre Befriedigung des allgemeinen Bedürfnisses nach absoluten Helden und Tragödien auf. Alles in ihm begehrte auf gegen diese Denkträgheit, diese Rechtfertigung von Primitivität und Brutalität! George Saiko ging in den Widerstand! - Vergeblich!?

„Ich frage mich, warum soviel Literatur gemacht wird", sagte er am Ende eines Gesprächs, und die für ihn gültige Antwort folgt darauf: „Ich schreibe, um leben zu können."

Saikos „Gesammelte Werke in fünf Bänden" sind im Residenz Verlag neu herausgekommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung