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Beschreibung psychischar Fakten

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In seinem neuen Prosaband, „D e r Opferblock“, der die großen Erzählungen „Die Klauen des Doppeladlers“ und „Die Badewanne“ enthält, bewegt sich der Wiener Autor George Saiko mit der für ihn charakteristischen Ausschließlichkeit im heiklen Grenzgebiet zwischen Unbewußtem und Bewußtheit. Was sich wie zusarmnenhangsarme Ausschnitte aus um ein Vielfaches umfangreicheren Niederschriften liest, sind, unmißverständlicher als je zuvor, deskriptiv festgehaltene psychische Fakten, die, in mannigfachen Details, Licht auf das Gesamtwerk werfen und dessen Homogenität unterstreichen.

Verbindungslinien zum und Abhängigkeiten Saikos vom Surrealismus, die von verschiedenen Interpreten seines Werkes stereotyp hervorgehoben werden, erscheinen auf den ersten Blick plausibel, nimmt man doch in seiner Prosa auf Schritt und Tritt Wirkungen seelischer Automatismen wahr, von deren Macht der Mensch abhängig ist. Doch was im Surrealismus Methode ebensowohl wie Selbstzweck ist, wird bei Saiko einerseits zu Inhalt, zu Material, anderseits, in stringenter Formung und Verformung des Stoffes, wird dieses Material durch den Vorgang des Schreibens nicht allein gebannt, sondern bewältigt und damit, soweit seine Möglichkeiten reichen, objektiviert, was surrealistischem Prinzip zuwiderläuft.

Geschildert wird in der ersten Erzählung, die im ersten Weltkrieg spielt (die zweite begibt sich in Weltkrieg II), das innere Erlebnisfeld eines k. u. k. Soldaten, soweit es — das ist entscheidend — durch Außenreize, als da sind: autoritative Militärmaschinerie, Umwelt im dalmatinischen Karstgebiet, Soldaten und Freudenmädchen, zum Glosen gebracht wird, zu Reaktion und Antwort auf die jeweilige, zumeist als feindselig empfundene Außensituation. Das Ich steht in hoffnungsloser Abwehrposition, zurückgedrängt auf weniger als sein Existenzminimum.

Die religiöse Beichtpraxis nicht allein der Christen und die medizinische der Psychotherapeuten fördern oft auch seelischen Unrat, Produkte schlechten Gewissens, zutage. Schlechtes Gewissen tritt auf, wo soziale Anpassung fehlschlägt, wo die Koordinierung des eigenen Tuns mit erkannten (oder mißverstandenen!)Prinzipien des Seins mißlingt. Wann immer in den Evokationen der Kulturen, die wir überschauen, eine Summierung von Unrat, Fäulnis und Destruktion erfolgt, ist dies ein verräterisches Indiz dafür, daß geistig-seelische Umwälzungen im Gange sind. Umwälzungen, die gespürt, geahnt und zu geringsten Teilen gewußt werden, so daß niemand recht weiß, wie er sich verhalten soll, welchen Göttern, Trieben, Normen, Konventionen es zu gehorchen und welchen es zu widerstehen gilt. Dies sind Hausseperioden des schlechten Gewissens.

Demgegenüber gibt es zwei Urgebärden als Bewältigungsversuche: die der Selbstbeschuldigung und demütigen Hinnahme der aus den Diskrepanzen erwachsenden Leiden und die andere, animalisch-revoluzzerhaft gärende, die das eigene Ich zu reinigen versucht, indem es die großen drei, Unrat, Fäulnis, Destruktion, der Welt und dem Sein impliziert, in die das bedauernswerte Ich „hoffnungslos geworfen“ ist. Beide Gebärden stellen Extremhaltungen dar, zwischen denen der Mensch pendelt und die der Integration bedürfen. Saiko figuriert mit einer Ausschließlichkeit und Wortmacht, die seine literarische Bedeutung ausmacht, innerhalb des Zeitabschnitts unserer nicht mehr ganz jugendfrischen Modernität die zweite Gebärde.

Daß er gerade in diesen Tagen öffentlich bekannte: „Ich schreibe, um leben zu können“, bestätigt den Eindruck von der Getriebenheit seiner Schreibweise, die aufs vollkommenste der Gejagtheit unserer Epoche entspricht. Die ganze Tragik solcher Situation erhellt aus qualsatten Sätzen wie den folgenden: „Als bestünde die Erwachsenheit darin, die mit brennender Erwartung ausgeschmückten Bilder seiner Jugend zu verleugnen. Man lebte für die eigentlichen unverrückbaren Werte, sie zu erreichen war der Sinn, aber man blieb unterwegs stecken, man meinte die Liebe und fand Irene..., man suchte das Opfer und geriet hungrig und verlaust auf einem Rübenacker in eine Maschinengewehrgarbe...“ Und die Folge davon: „. .. sie saßen auf dem Grunde dieser undefinierbaren Masse wie eingefangen in ihrer Feindschaft, Bösheit, in ihrem unentrinnbaren Selbstverschulden, aus so vielem zusammengemischt..., vielleicht würden sie binnen kurzem immer vergeblicher nach Atem ringend auf eine unsagbare Weise ausgelöscht.“ Diese Bilder sind seelisch gemeint, sie zeichnen mit äußerster Schärfe die im Ungefähren verschwimmende Angstvision zweier Soldaten, eine Chimäre, in deren nebelhafter Fratze wir die dominierende Schrecknis unserer (und längstvergangener) Übergangszeiten wiederzuerkennen vermeinen.

Was sich hier vollzieht, nämlich die Projektion innerer Zustände, die im Augenblick des Hervortretens aus dem Unbewußten benannt werden, in die äußere Welt, ist als uralter geist-seelischer Mechanismus im Wesen, wenn auch nicht im Objekt, identisch mit der Beseelung, Personifizierung, Dämonisierung der Naturkräfte, wie sie unsere Vorfahren betrieben. Die Harmonie zwischen heilenden und rächenden, bösen und guten Mächten freilich, die uns an den Götter-, Geisterund Feenwelten von einst ebenso wie an den Hochreligionen beglückt und das Leben meistern hilft, fehlt Saiko, fehlt allen Dichtern der zweiten Urgebärde, ist noch selten in unserer Gegenwart.

All die Verdammten, all die trüben, im Kerker ihres Ichs von aufsässig-selbstherrlichen Trieben gepeinigten Individuen, die durch Saikos Schriften, die durch einen Großteil der modernen Literatur irrlich-tern müssen, sind Emanzipierte, sind Meister darin, Forderungen einer berechnenden Vernunft zu erheben, sie suchen, in einer Lebensebbe sondergleichen das, wie Gabriel Marcel es ausdrückt, ihnen despotisch erscheinende Joch der vitalen Kraft abzuschütteln, sie gieren nach der Wohltat einer totalen Verantwortungslosigkeit, die zu verwirklichen der gesunde Mensch niemals, und selbst der geistig Kranke nur in Ausnahmefällen, fähig ist. Die Rückkehr in alte, überlebte Bindungen ist solchen Naturen verstellt, von ihnen geht ein furchtbarer Zwang aus, neue, höhere Bindungen zu emanieren. Dies mag die schmerzgeladene, doch unentbehrliche Rolle sein, zu der sie, Märtyrer ihrer selbst und der Zeiten, denen sie ihr Siegel aufprägen, berufen sind.

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