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GEORGE SAIKO / HERAUSFORDERUNG AN DIE GEGENWART

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Die Nachricht, er sei für den diesjährigen Großen Staatspreis für Literatur designiert, erreichte in diesen Tagen einen Mann, der zwischen den Zeiten steht: George Saiko, den siebzigjährigen Romancier und Doktor der Kunstgeschichte, der in jüngster Zeit den Kunstpreis der Stadt Wien und die Körnerstiftung empfing. Damit erfährt das Schaffen eines denkbar unbequemen Geistes die höchste offizielle Würdigung, die Österreich zu vergeben hat, eines Autors, von dem nicht mehr vorliegt als zwei Romane und ein kürzlich herausgekommener schmaler Erzählungsband, die Summe eines Lebens, verdichtet auf etwas mehr als tausend Seiten.

Saiko, 1892 in Seestadtl in Nordböhmen geboren, hat noch ein Vierteljahrhundert der alten Monarchie erlebt, er war für die Offizierslaufbahn bestimmt, doch früh zog ihn das Studium der Kunstgeschichte an, als ein Mittel, die Vergangenheit ordnend zu sichten, als Suche nach einem Standort in der Erscheinungen Flucht, schließlich, halb ungewollt, als Brotbenif. Welten brechen zusammen in seiner ersten Lebenshälfte, der Feudalismus und die Hierarchie, aber auch, während des Interregnums der Ersten Republik, die letzten Phasen des Auf-kläruugszeitalters und des Fori-schrittglaubens, Maßstäbe, Fundamente, Sicherheiten lösen sich auf. Noch hat Dr. Saiko, der Wissenschaftler, außer kunstgeschichtlichen Beiträgen, keine Zeile geschrieben.

Doch eines Tages, er ist soeben in das fünfte Lebensjahrzehnt ein-■getreten, nimmt er die Herausforderung durch seine Epoche an, entwirft und schreibt in sieben Jahren den düster-großartigen Roman „Auf dem Floß“, ein Werk, in dem er sich allen virulenten geistigen

Problemen seiner Zeit zu stellen versucht. Doch, alles was in dieser Prosa als Gegenwartschilderung, Zeitkritik, als philosophische, religiöse oder historische Reminiszenz auftritt, erscheint im Grund als Rankenwerk und unerläßliches Gerüst einer zentralen Idee. Diese Idee, die darzustellen und in immer neuen suggestiven Bildern und Szenen zu evozieren er nicht müde wird, ist die des im Kerker seines Ichs einsam verkapselten modernen Menschen. „Auf dem Floß“, der Titel des ersten Buches, das wie ein Felsblock inmitten der neueren österreichischen Literatur steht, heißt, unterwegs sein, doch nicht mit Steuer und Segel, sondern getrieben durch ein blindes Schicksal, in äußerster Ohnmacht.

Im zweiten Werk, „Der Mann im Schilf“, wagt es Saiko, bisher als einziger, das heiße Eisen der Zeit des Juliputsches 1934 anzufassen, nicht als Politiker oder Doktrinär freilich, sondern als einer, dem es einzig auf menschliche Beweggründe ankommt, als Dichter, der Gerechte und Ungerechte mit derselben Akribie untersucht. Auch hier ist der Mensch den Kräften von innen und außen ausgeliefert, doch seine Ohnmacht ist nicht mehr total, es zeigen sich Minimal-bezirke der Entscheidungsfreiheit an.

Bis 1950 war Saiko in der Albertina tätig, ein Dutzend Jahre. Es gab nicht allein strenge wissenschaftliche Arbeit, sondern auch manche tragikomische Episode. Da erschienen nach 1938 nationalsozialistische Würdenträger, die aus „Repräsentationsgründen“ Leihgaben aus den unersetzlichen Albertina-Beständen erbaten. Dr. Saiko, was blieb ihm übrig, sagte konziliant zu. Geliefert wurden etwas später allerdings lediglich Reproduktionen, so meisterhaft ausgeführt, daß sie als Originale, auf Nimmerwiedersehen, die Reise in diverse Salons antraten. Dasselbe Verfahren bewährte sich 1945 nochmals ausgezeichnet.

Der jüngste Band, „Giraffe unter Palmen“, Erzählungen vom Mittelmeer, erweist den Autor als Meister der Kurzprosa. Auch hier durchforscht er mit erbarmungsloser Konsequenz einen areligiösen Raum, schafft er Gestalten, die mit intellektuellen Waffen oder wütender sinnlicher Leidenschaft aus seelischer Einsamkeit den Durch-bmch suchen zum Du, zur Kommunikation mit der Gemeinschaft. Man darf den Ergebnissen seines Denkens, die in einem neuen Roman und in einem neuen Band Erzählungen zutagetreten werden, die der Haus-Deutsch-Verlag gemeinsam mit einer Neuherausgabe der beiden ersten Romane vorbereitet, mit beträchtlicher Spannung entgegensehen.

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