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Einsame Masse

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Mobilität macht unglücklich. Lieber bleiben wir daheim, unter vertrauten Leuten, die Welt wird uns schon durch das Fernsehen vermittelt. Wir sorgen irgendwie schon für den Unterhalt und für die Unterhaltung. Wir bleiben zu Hause.

Dieses von den Aliensbacher Meinungsforschern erhobene Bild einer Privatisierung der bundesdeutschen Gesellschaft hat nur auf den ersten Blick den Anschein einer echten Idylle. Die kleinen Netze isolieren sich nämlich. Der Rückzug zu den Bekannten ist mit einer Abkoppelung von fast allen übergreifenden Bereichen verbunden.

Die Republik entleert sich: Die größere Gesellschaft wird als fremd erlebt, die öffentliche Sphäre gilt nicht mehr als eigene Sache. Die Mitwelt ist uns viel zu kompliziert, um uns auf Nahkontakte zur Politik und ihren Funktionären einzulassen. Die Umwelt wird vor allem als bedrohlich erlebt. Das So-

ziale versteht sich derart als Gefahrenquelle, Mißtrauen, Ängste und Aversionen werden bestimmend und beginnen, auch in die privaten Räume einzudringen …

Die Flucht in die Nischen des Privaten löst keine Probleme, die jeden Einzelnen angehen müssen. Klein mag schön sein. Edgar Piel (aus Allensbach) meint dazu aber richtig: Wo die übergeordneten Zusammenhänge vernachlässigt werden, würde es auch bald keine Möglichkeit mehr geben für das Private. Wenn wir uns auf der Suche nach dem menschlichen Maß von großen Netzen abwenden, wenden wir damit keineswegs deren Problematik ab. Vielmehr gefährdet eine Demokratie ohne Demos alle Grundlagen des Zusammenlebens. Einfach nicht hinzugehen macht überhaupt nichts einfacher. Das müßten vor allem Christen bedenken.

Die einsame Masse im trauten Heim wird christlicher Verantwortung eben nur scheinbar gerecht. Die gewollte, also bejahte und als eigene gelebte Arbeit in und an der Welt gehört dazu, wir müssen mehr leisten wollen als nur das Glück der heimischen vier Wände. Mit dem Weltvertrauen verdunstet auch die Religion. Eine bestenfalls permissive Gesellschaft gutgesinnter Stubenhocker stellt Humanisierung nicht her.

Lebenskraft kann nur von Aktivbürgern kommen, die sich um mehr als bloß das „Ihre" kümmern. Zur Selbstverwirklichung gehört es auch, für die anderen zu wirken, die Probleme der Übernächsten zu bejahen und sie anzunehmen. Man spricht soviel von Krise und Wende. Wenden müssen wir selbst. Nur die Krise wächst auch ohne uns.

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