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Emigration als Verpflichtung
In seiner Antwort an Manno ter Braak hat Erich Andermann bereits festgestellt, daß die Emigrationsliteratur keine geistige Einheit darstellt, sondern eine mehr oder weniger zufällige Schicksalsgemeinschaft. Aber welche Folgerungen zieht er daraus? Andermann resigniert. Er ist der Meinung, der emigrierte Schriftsteller habe keine anderen Aufgaben als: erstens, die deutsche Sprache zu pflegen, und, zweitens, sich bewußt zu werden, daß die Traditionen des deutschen Geistes in seinen Hut gelegt sind. Mit Verlaub, wir könnten mit solchen Formulierungen nicht mehr viel anfangen. Auch der Nationalsozialismus behauptet, an die Tradition des deutschen Geistes anzuknüpfen, wenn er an das Unbewußte, an das Dunkle, an das Mystische und Gefühlsmäßige appelliert. Wir müssen uns also bemühen, unsere Ansprüche klarer, verpflichtender und unmißverständlicher zu begründen.
Dazu gehört vor allem, daß man sich anderer Kategorien bedient, nicht nur ästhetischer, um den Daseinswert einer Literatur abzuleiten, die sich ebensowenig auf einen gemeinsamen Nenner bringen läßt wie die Emigration selbst, in der sie entstanden ist. Diese Literatur wird auch in Zukunft gute und schlechte Bücherproduzieren, Liebesromane. Gedichte. Unterhaltungsstücke; sie wird auch, vielleicht, eines Tages das große Genie, die große Persönlichkeit hervorbringen, niemand wird es ihr verwehren, aber diese Frage ist im Grunde uninteressant. Entscheidender ist: Was hat diese Emigration aus sich gemacht? Hat sie ihr einen Sinn gegeben? Hat sie die Zeit, die sie jenseits der Konzentrationslager verbringen durfte, dazu benutzt, neue Inhalte zu entdecken, neue Erkenntnisse und Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln?
„Emigration ist kein Zustand, Emigration ist eine Verpflichtung", wurde neulich in einer Pariser Schriftstellerversammlung gesagt. Auf die Literatur übertragen, heißt das: Emigration ist nicht nur ein von Hitler aufgezwungener Verlagswechsel, Emigration ist eine geistige Haltung.
Wir glauben, daß es bereits Beispiele gibt, an denen sich diese geistige Haltung ablesen läßt.
Dies alles sind gewißerst Ansätze. Aber die Arbeit geht weiter. Sie wird darin bestehen müssen, aus sich selbst heraus neue Gesetze zu entwickeln, ohne den Kontakt mit der deutschen Wirklichkeit zu verlieren und an ihr den Maßstab für ihre eigene Wirklichkeit zu kontrollieren. Indem sie versucht, den geographischen Abstand, der sie von den deutschen Ereignissen trennt, durch geistige Nähe zu überwinden, arbeitet sie daran mit, ein neues Deutschland vorzubereiten, das schon heute fragend und Antwort heischend, sich seiner zukünftigen Repräsentanten vergewissert. (1935)
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