7027697-1989_17_16.jpg
Digital In Arbeit

Etikettenschwindel

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn Boris Becker, die Fußballer oder andere Sportler an allen sichtbaren Stellen mit Firmennamen beschriftet herumlaufen, ist es in Ordnung, denn sie werden dafür gut bezahlt. Wir leben schließlich in einer Welt, in der man fast alles kaufen und verkaufen kann. Gute Bezahlung rechtfertigt also fast alles.

Warum sollen aber wir Normalbürger mit Firmenzeichen auf der Kleidung oder auf den Utensilien für jemanden Werbung machen, obwohl wir dafür keinen Groschen bekommen? Man könnte sich vielleicht noch einigen, wenn man mir im Laden sagen würde: „Der Hersteller hat das Hemd mit einem Schriftzug beziehungs-

weise einem Tierbild auf einer sichtbaren Stelle verunziert. Wenn Sie es nehmen, kriegen Sie dreißig Prozent Preisnachlaß.“

Es ist aber genau umgekehrt: Für das Etikett muß der Käufer teures Geld bezahlen! Oft kostet das Etikett mehr als die Ware selbst, manchmal sogar ein Vielfaches mehr.

Früher haben die Firmen mit der Qualität ihrer Ware geworben, heute werben sie mit Markenzeichen. Das Etikett steht aber nur für den Preis, nicht für die Qualität, mag sie auch durchaus vorhanden sein. Qualität zeigt sich von allein, sie braucht kein Zeichen, und das Zeichen braucht keine Qualität. Es hat seinen eigenen Marktwert — einen anderen Wert hat es nicht.

Mich machen Etiketten vornehmer Firmen im doppelten Sinne mißtrauisch: Ich bezweifle die Qualität der befirmten Klamotten, denn wenn eine Jacke oder ein Hemd gut sind, wozu brauchen sie dann noch einen Stempel? Und ich bezweifle die Qualität des Menschen, der unbedingt allen zeigen will, daß er sich teure Sachen leisten kann - auch für den Preis, daß er für das Etikett fünfmal so viel bezahlt hat wie für das Hemd und dazu der Firma unentgeltlich Reklame macht. . Man kann nämlich mit allem Etikettenschwindel treiben — mit Wein, mit Kleidern, mit Menschen und mit der Politik.

In jenen Ostblockländern, in denen private Kleinproduktion erlaubt ist, blüht das Geschäft mit geschmuggelten Etiketten westlicher Konfektionsfirmen. Sie werden zum Beispiel in Mäntel eingenäht, die in Lodz hergestellt wurden — so ein Mantel hat dann den drei- bis vierfachen Preis.

Warum es in der Konsumhungergesellschaft Osteuropas so funktioniert, kann man einigermaßen verstehen. Warum aber in unserer Gesellschaft des gesättigten Konsums ein Etikett als Statussymbol gilt - ist eigentlich auch verständlich. Einen einigermaßen anständigen Anzug kann sich fast jedermann leisten. Wer zeigen will, daß er mehr als jeder-marm ist, kauft sich dazu ein Eti-

kett, koste es, was es koste.

In Amerika gibt es den umgekehrten Schwindel: Konfektionäre klauen Ideen berühmter Modeschöpfer und bringen die Modelle in Massenanfertigung und in anständiger Qualität für einen Bruchteil des Preises auf den Markt. Allerdings mit einem Billigetikett. Für die Autoren der Modelle ist es natürlich ärgerlich - als Autor kann ich den Ideen-klau nicht billigen. Als Verbraucher würde ich aber die billige Nachbildung kaufen, weil es mir um eine bequeme und schöne Hose geht, nicht um das Etikett. Sollte ich mir den Namen „Einstein“

auf die Stirn tätowieren lassen, verstehe ich doch nichts von der Relativitätstheorie; irgendein gepanschter Wein wird nicht dadurch besser, daß man ihn aus einer Flasche mit hundertjährigem Etikett einschenkt. Ein guter Kognak schmeckt dagegen herrlich, auch ohne jedes Etikett.

Es gibt jedoch viele Menschen, denen die Flasche wichtiger ist als der Inhalt, die das Markenzeichen auf ihrem Hemd mehr schätzen als sich selbst. Davon profitieren die Firmen, die diesen Leuten gutes Geld dafür abnehmen, daß sie für die Firma Werbung machen dürfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung