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Digital In Arbeit

Schlecht fürs Geschäft

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Letzte Woche fand Österreichs, jährlich fällige Werbetagung zum erstenmal nicht in Wien, sondern in Salzburg statt. Damit wurde zahlreichen Vorschlägen und Vorwürfen Rechnung getragen, vor allem dem Vorwurf, die Wiener Werbewelt halte sich für das A und O der gesamten österreichischen Werbeszenerie und kümmere sich so wenig um die „Provinz“, daß sie gar nicht bemerkt habe, wie ihr diese zumindest im künstlerischen Bereich den Rang ablief.

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Letzte Woche fand Österreichs, jährlich fällige Werbetagung zum erstenmal nicht in Wien, sondern in Salzburg statt. Damit wurde zahlreichen Vorschlägen und Vorwürfen Rechnung getragen, vor allem dem Vorwurf, die Wiener Werbewelt halte sich für das A und O der gesamten österreichischen Werbeszenerie und kümmere sich so wenig um die „Provinz“, daß sie gar nicht bemerkt habe, wie ihr diese zumindest im künstlerischen Bereich den Rang ablief.

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Aber welche Bedeutung hat in der Werbung überhaupt der künstlerische Bereich, die „kreative Umsetzung“ der theoretischen Konzepte, die Graphik? Der dafür zuständige

Mann in den Werbeagenturen heißt zwar landauf, landab Art Director, doch die Stellung dessen, was er tut, ist zwiespältig. Dem Kunden gegenüber wird das Künstlerische in der Werbung oft verleugnet wie ein uneheliches Kind, um nur ja nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, auch nur ein Dollar (Schilling) seines guten Geldes werde für Unwesentlichkeiten verschwendet, für Dinge, die der eigentlichen Absicht, die Ware des Kunden zu verkaufen oder sein Ansehen in der Öffentlichkeit zu heben, nicht nützen oder gar schaden.

Auf der anderen Seite hat das Künstlerische in der Werbung eine Art öffentlicher Alibifunktion, sozusagen zum Beweis dafür, daß die Werbung gar nicht das ist, wofür man sie hält, über den Zwecken steht, denen sie dient. Der Werbung ist sehr wohl bewußt, wie es ohne dieses Alibi um ihr Ansehen bestellt wäre — sie braucht public relations für sich selbst.

Schließlich aber entwickelt der kreative Bereich, das Künstlerische, in vielen Agenturen ein Eigenleben, das mitunter schwer unter Kontrolle zu halten und den ökonomischen Notwendigkeiten der Branche völlig unterzuordnen ist. Beweis dafür, daß es so sein muß: Die immer und wieder wiederholten Beteuerungen der Agenturleiter, der Kontakter, der Art Directors, der Graphiker und Texter und wie sie sich alle sonst nennen mögen, ihre Sache sei die Sache der Kunden und nichts sonst, ihre Sache sei es, den Produkten des Kunden die gebührende Stellung auf dem Markt zu verschaffen und nichts sonst. Viele von ihnen sind verhinderte oder echte Künstler oder könnten es zumindest sein, die verkaufte Seele juckt, der vergewaltigte Finger zuckt — und hast-du-nicht-gesehen schmuggelt sich Künstlerisches ein, wo es nichts zu suchen hat.

Wie schön, wenn man es dann manchmal von der Leine und sich austoben lassen darf — dort, wo gerade solches der Sache des Kunden frommt. Zum Glück, für die Werbung, gibt es Bereiche, in denen es die Erwartungshaltung des jeweils angesprochenen Publikums geradezu gebieterisch verlangt, daß man ihm künstlerisch kommt.

Diese Bereiche rekrutieren dann zum größten Teil das, was als „vorbildliche Werbung“ prämiiert oder als „künstlerische Werbung“ in Sammelbänden vorgelegt werden kann, das, wofür die großen Könner dieser Branche, die oft auch noch soviel anderes machen müssen, mit ihrem Namen geradestehen. Gesammelt etwa in den acht Bänden der Reihe „große designer in der werbegraphik“ (schuler Verlagsgesellschaft, mün-chen), aus deren Bänden 2 (Europa II), 5 (USA I) und 7 (USA II) die Beispiele auf dieser Seite stammen.

Gäbe es Sammelbände „Die erfolgreichste Werbung des Jahres“, sq wäre der Prozentsatz künstlerisch beachtenswerter Werbung darin sehr gering, und manche Kampagne, die ein Produkt auf einen Markt katapultierte, würde sogar einen negativen Preis für besonders dürftige Gestaltung verdienen — gesehen mit den Augen eines ästhetisch Gebildeten, aber werbetheoretisch Unwissenden. Waschmittelwerbung zum Beispiel muß angeblich so sein, wie sie ist — behaupten zumindest die Weisen der Werbung.

Es gibt große Werbegestalter, die Aufträge ganzer Branchen a priori zurückweisen — sie wissen zuviel, um sich auf ein Harakiri einzulassen. Auf den angelsächsischen Märkten winken dem Designer dafür Aufgaben, die man in unseren Breiten noch gar nicht entdeckt hat, etwa die ganze Gruppe der Medienwerbung für Medien, etwa Anzeigenwerbung für das Fernsehen. Siehe etwa die von Louis Dorfsman gestaltete Anzeige für eine CBS-Sendung über das schwarze Amerika, die am Tag der Sendung in den Zeitungen erschien (Abbildung). Dorfsman gestaltete aber auch eine Anzeige, die hierzulande unter den Begriff unlauterer Wettbewerb fiele: Einst, als die Raumfahrt noch attraktiv war, am Tage nach einem Start — Text: „Wir hatten am Dienstag mehr Gemini-.Abschüssse'. Die CBS-Berichterstat-tung über das Gemini-Projekt zog um 11 Prozent mehr Fernseher als NBC und um 220 Prozent mehr als ABC an. CBS news.“

Kunst in der Werbung: Um so mehr, je anspruchsvoller das betreffende Produkt. Die zu Tuben umstilisierten Wolkenkratzer (siehe Abbildung), die Louis Danzinger entwarf, werben nicht für Zahnpaste, sondern für eine Kunstausstellung in Los Angeles. Kunst in der Werbung: Um so mehr auch, je stärker der „künstlerische Anhauch“ dessen, wofür man gerade wirbt. Aber Welten liegen etwa zwischen der Topcat-An-zeige (Abbildung) von Peter Max (1967) und der klassischen Anzeige von Herbert Leupin 1956 für die „Tribüne de Lausanne (Abbildung). Nirgends ist Kunst so vergänglich, so zeitgebunden, wie Kunst für Werbezwecke — sie muß von morgen sein, ist sie von heute, so ist sie auch schon von gestern. Werbestile sind eines der kurzlebigsten Verbrauchsgüter unserer Industriewelt. Denn alle Produkte wollen von übermorgen oder wenigstens von morgen sein. Die Werbung soll dem Konsumenten das Gefühl suggerieren, daß sie es sind.

Seltenes Glück für einen Großen dieser Branche, wenn er ein Firmengesicht über Jahrzehnte hinweg weiterentwickeln und dabei ohne Rücksicht auf die Extreme, die da kommen und gehen, eine gewisse Kontinuität wahren kann. Daß solches, in der Zusammenarbeit zwischen Giovanni Pintori (Abbildung) und dem Olivetti-Konzern, möglich ist, läßt die Mittlerrolle der Agenturen in einem etwas anderen Licht erscheinen — das Zusammentreffen kunstinteressierter Firmeninhaber mit entwicklungsfähigen Naturtalenten hat immer wieder, zuletzt in Österreich im Falle Humanic, zu größeren oder kleineren Sternstunden der Werbekunst geführt.

Wer etwas schaffen will, was sich überhaupt nicht integrieren läßt, weicht neuerdings, so er es sich leisten kann, in jenen Randbezirk aus, wo ein Plakat für nichts mehr wirbt als für sich selbst oder zumindest für nichts, was man verkaufen kann. Markantestes Beispiel: Der „Protestposter“ vom berühmten Torna Unge-rer „Black Power — White Power“. Er verkauft nichts. Aber man kann ihn kaufen.

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