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Arbeitsaufträge an Schriftsteller

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Die „Ersten L i n z e r Kulturtage“ ■vom 29. bis 31. Mai 1953 brachten in Vorträgen und Diskussionen ernste gegenwartsnahe Stellungnahmen zu den schwierigen Fragen des Verhältnisses der Kulturschaffenden und der Masse jener, die mehr oder weniger oder gar nicht mehr am Kulturleben teilnehmen. Wir bringen im folgenden als Beispiel für eine realistische Sicht im Auszug die Rede des Dichters Doktor Rudolf Bayr.

In einer homogenen Gesellschaft, welche die Kulturbedürfnisse im sozialen Kontakt immer wachhält und in der die Strecke vom Kulturproduzenten zum Kulturkonsumenten möglichst verkürzt ist, braucht man keine Vermittlerinstanzen. Anders in der desintegrierten Gesellschaft. Es müssen da Mittel großer Streuweite verwendet werden, um überhaupt an den Kunstkonsumenten heran-, zukommen.

Soferne das Kunstwerk Handelsgut ist, wird es in alle Praktiken einbezogen, die jeweils neu erdacht wurden, eine Ware absetzbar und konkurrenzfähig zu machen. Die Schlüsselstellung des Managers — ich verstehe darunter jeden Beruf und jede Institution, die vermitteln und verteilen — erhellt daraus, daß es heute mehr Publizität einträgt, von zehn Agenturen zehnmal verlauten zu lassen, man beabsichtige ein Werk zu schreiben, als es die schließlich tatsächliche Veröffentlichung in der Regel vermag. Und Publizität ist es, was die Erzeuger von Markenware, von Markenartikeln wünschen. Eine Marke sein, Markenware anzubieten haben: das ist es, worauf es ankommt. Man muß dazu auch immer wieder inserieren. Daher die dem Laien oft unbegreifliche Gier, auch arrivierter Künstler, nach Namensnennung in der Tagespresse. Das Publikum wird darauf trainiert, den am öftesten genannten Namen für den gewichtigsten zu halten.

Soferne also das literarische Werk auch Ware ist und den modernen Methoden der Anpreisung und Käufersuche unterliegt, wird es auch Objekt zahlreicher Vermittler-und Verteilerinstanzen, in denen sich gewissermaßen eine pädagogische Funktion fortsetzt.

Was in diesem Zusammenhange zu erwägen ist, sind Maßnahmen zur Steigerung des literarischen Bedürfnisses. Diese können fürs erste einigermaßen aussichtsreich nur im wirtschaftlichen Räume konzipiert werden. Appelle an eine natürlich immer mindestens tausendjährige kulturelle Tradition sind nur Zierat für Gedenkreden von der Stange. Bei der hier gemeinten Weckung literarischer Bedürfnisse wird dem Beispiel eine erhebliche Rolle zufallen.

Was angeregt werden soll, ist ein intensiverer Kontakt der Literatur mit allen Zweigen der Wirtschaft. Daß man eine Kantine, einen Aufenthaltsraum mit Fresken schmückt,einen Brunnen mit marmornen Nuditäten verziert und sogar politische Funktionäre vor den Gemälden heimischer Meister amtieren läßt — derlei Kommunikationen mit dem Genius der Nation haben in ihrem Substrate, nämlich in der Rechnung der Künstler, bereits Heimatrecht in fast jedem Dorfbudget. Nur um die Literatur ist es noch übel bestellt. Ich denke ja nicht daran, künftig Kommunalbauten, Parteiheime, Kindergärten und Fabriken mit Versen zu versehen — aber es gibt mancherlei Publikationen, welche abzufassen ein pensionierter Volksschullehrer nicht unbedingt die zuständige Person ist.

Es wurde in Deutschland schon längst Brauch, Reklameverse bei namhaften Dichtern zu bestellen. Eine Zweimonatsschrift veröffentlichte vor Zeiten etliche solche Produkte, die artistisch einfach vollkommen waren. Es wäre denkbar, daß man Wettbewerbe einführte für den besten Vierzeiler des Monats, analog den bekannten Plakat-wettbewerben. Firmen und Dichter würden sich zu anregender Gemeinsamkeit zusammenfinden. Oder: öffentliche Stellen des Bundes und der Gemeinden könnten Aufträge erteilen, für verschiedene Anlässe Prologe und Reden zu verfassen. Oder: Betriebe, die ein Jubiläum feiern, wären sicher geneigt, eine Broschüre herauszubringen, in der die Entwicklung des Unternehmens dargestellt ist. Solche Publikationen gibt es, nur sind sie selten lesbar. Uebrigens hat ein großes österreichisches Kaufhaus jüngst einen unserer angesehensten Autoren beauftragt, eine Werbebroschüre zu schreiben. Ferner: jährlich werden Millionen Exemplare Prospekte für die Förderung des Fremdenverkehrs gedruckt: können die nicht auch einmal gut textiert sein? Diese und noch viele andere Möglichkeiten gäbe es, das literarische Leben zu kräftigen und obendrein Verdienstmöglichkeiten für Schriftsteller zu schaffen.

Gerade in jüngster Zeit ist die Stellung des Dichters in der Gemeinschaft, sein Auftrag von ihr und für sie, mit viel Leidenschaft und wenig Einsicht diskutiert worden. Wendungen der Art, daß der Dichter das Volk, die Nation ansprechen, die Nöte der Zeit deuten und Wege in die sprichwörtlich bessere Zukunft weisen müsse — derlei Wendungen fördern nur, was sie eigentlich vermeiden wollten, nämlich die esoterische Inzucht. Demgegenüber vertrete ich die „säkularisierte“ Meinung, dergestalt eine lebendige Verbindung von Dichter und Sozietät nur in der Relation von Angebot und Nachfrage keine Utopie ist.

Das Sprachmaterial taugt für Produktionen verschiedensten Genres. Und nach diesem Produkt ist hier, nach jenem dort Bedarf. Der Raum mit dem Schreibtisch ist die Werkstatt, das Atelier. Man muß dort an die Tür klopfen und dann bestellen können: das und das Schriftstück, so und so lang, Liefertermin, Honorar. Es wäre an den kulturellen und wirtschaftlichen Gremien gelegen, Aufträge zu vergeben. Vielleicht möchten dann auch die Klagen mancher Dichter verstummen, daß sie mit traumfernen Handlangerdiensten das Brot erwerben müßten, das ihnen eine mit Blindheit geschlagene Nation vorenthält.

Man braucht wohl nicht ausdrücklich zu erklären, daß nicht daran, gedacht wird, künftige Genies vom Pegasus zu zerren und hinter den Tisch .literarischer Fertigung zu verbannen. Aber gestehen wir es doch endlich ein: das Unsterbliche ist ein Datum, gleichsam außer der Reihe, obendrein gar nicht für jeden klar als unsterblich legitimiert. Und wenn nach dem sogenannten großen Gedicht nur selten ein Bedarf besteht, dann sei man doch nicht so arrogant, immer die anzuklagen, die eben auch ohne Lyrik anständig, erfolgreich und respektabel leben. Der Dichter hat sich einfach klar darüber zu sein, wann er ein leicht und warnt er ein schwer absetzbares Produkt dem Markte anbietet.

Das Hineinziehen von ästhetisch relevanten Formen des sprachlichen Ausdrucks in alle Bereiche des täglichen Lebens, in welchen die bloß verkehrssprachlichc Verständigung

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