6779423-1969_36_09.jpg
Digital In Arbeit

Die Werber

Werbung
Werbung
Werbung

Früher hat man es Reklame genannt. Geworben haben damals hauptsächlich nur Männer um Frauen. Wie nennt man das eigentlich heute? Es ist jedoch nicht unsymptomatisch, daß die terminologische Veränderung in die Ära des Aufstiegs so radikal unmittelbar auf die Menschen einwirkender „Be“werbung wie eben durch das Fernsehen fällt. Wann haben Plakat und Inserat so stark auf uns einwirken können wie das Fernsehbild? Ich brauche nur ein paar Spiegeleier (womöglich gar noch in Farbe) in einer chromglitzernden Bratpfanne auf dem Femsehschirm brutzeln zu sehen, und schon packt mich die Gier, in die Küche zu gehen und mir selber welche zu braten — obwohl mir eigentlich wenig an Spiegeleiern liegt. Ich weiß nicht, wie lange sich die „Inkubationszeit" nach erfolgter optischer Ansteckung erstreckt, ich weiß nur, daß sich in unserem Besenkasten just immer jene Waschmittel ansammeln, die meine Bedienerin, von der Fernsehwerbung zu unentwegtem Ankauf bewegt, dort deponiert. Sozialministerium, Oberster Sanitätsrat führen von Zeit zu Zeit kostspielige (man kann, wie man sieht, ohne das Wort aufwendig auskommen) Feldzüge gegen den Alkoholismus und andere Mißbrauche. Sie sind zum Mißlingen verdammt, solange etwa die Tabakregie uns in der Fernsehwerbung ein junges Paar in Gottes freier Natur, umgeben von Tannen und Wiesengrün, Hirschen und Rehlein — und einer Zwanzigerpackung Memphis zeigen darf. Nicht zu reden von den vielen Zigaretten, die in Fernsehspielen und anderen Sendungen unentwegt angezündet werden müssen. Ein von mir geliebter Schauspieler kommt in seiner (für die, Jugend bestimmten) all-. wöchintlichen Vorlesung im Fernsehen nicht ohne öfteres Nippen an einem Viertelliterglas aus — in dem sich kaum Tee befinden dürfte — ebenso wie ein anderer bei den Übertragungen der Publikumsdiskussionen nach den Aufführungen im Konzerthaustheater. Ich bin kein Antialkoholiker und insbesondere ein blödsinnig leidenschaftlicher Raucher. Gerade deshalb freue ich mich über jeden, der nicht diesem Laster verfallen ist, dem ich ein fesches Emphysem verdanke. Jeder halbwegs ernstzunehmende Sportarzt erklärt entschieden, daß athletische Kondition und Alkohol und Nikotin nicht Zusammengehen. Ich bin dafür, daß der Jugend eine faire Chance gegenüber den interessierten Firmen gegeben wird: keine Reklame im Rundfunk für insbesondere die Jugend unzweifelhaft schädigende Genußmittel. Mir täten zwei Dutzend Firmen immer noch weniger leid, wenn dadurch ihr Absatz zurückginge, als einige hunderttausend Jugendliche. Und auch wenn die Einnahmen des Staates am Tabakmonopol durch Unterbleiben von Reklame zurückgingen, würde mir nicht das Herz brechen. Möge sich der Finanzminister weniger ungesunde Steuerquellen einfallen lassen. Das sind noch lange nicht alle Schäden, die das Werbefernsehen anrichtet. Dazu gehört zum Beispiel die äußerst starke Verwendung von Kindern für Reklamefilme. Ich habe unlängst in einem Werbeprogramm sieben verschiedene, hintereinander folgende Reklamefilme mit Kindern als Akteuren gesehen. Die Mehrzahl der dabei angepriese nen Waren hatte nichts mit etwaigen speziellen Bedürfnissen von Kindern zu tun. Natürlich sind die Kleinen herrlich telegen und unbefangen und rühren unser Herz. Und gerade deshalb ist’s ein Unfug. Der von den Fernsehwerbern in Großbritannien selbstgeschaffene Rat zur Hintanhaltung von Mißbrauch in den Reklamesendungen hat ausdrücklich die Beschäftigung von Kindern ausgeschlossen. Und so auch die Werbung fürs Zigaret tenrauchen. (In den USA müssen Zigarettenpackungen einen Aufdruck aufweisen, der darauf hinweist, daß vorwiegend Raucher am Lungenkrebs erkranken.)

Über den Schaden, den das Werbefernsehen durch seine Idiotie an der Intelligenz der Bevölkerung hervorruft, könnte man Doktorarbeiten schreiben. Verheerende Einfallslosigkeit. So müssen junge Leute und Kinder in den Werbesendungen ausnahmslos und geradezu prinzipiell nur rennend und hüpfend gezeigt werden. Damit sollen wahrscheinlich Dynamik und mitreißender Schwung manifestiert werden. Einmal, zweimal, dreimal, aber immer?

Da ist die primitive und exaltierte Marktschreierei der Sendungen überhaupt. Die Akteure müssen noch für eine Schuhpasta exstatisch die Augen rollen und entweder brutal-männlich grollen oder weiblich-hysterisch aufkreischen. Die Einsicht, daß eine Reklame um so wirkungsloser ist, je ernster sie sich nimmt, ist unseren Werbefirmen bis heute noch fremd. Die Engländer und die Amerikaner, denen man nicht nachsagen kann, daß sie schlechte Händler sind, haben verstanden, daß die Fetischisierung von Waren und Konsum ihre Grenzen dort hat, wo der Kommerz sich ernster nimmt als die Menschen, für die er bestimmt ist. Das Korrektiv heißt Selbstpersiflage. Bei uns jedoch wird eine Ware so angepriesen, als ob unser gesamtes leibliches und Seelenheil von ihrer Erwerbung abhinge. Die Werbefirmen trösten sich über die dadurch verursachte

— und ihnen hie und da dunkel bewußte — Unglaubwürdigkeit mit dem Argument hinweg: „Etwas wird auf jeden Fall hängen bleiben, wenn man’s ihnen nur oft genug einbläut.“ Nun kann Wiederholung sicherlich ein wichtiger Faktor in der Werbung sein, es hängt aber davon ab, was wiederholt wird. Schlechte Reklame wird dadurch nicht wirkungsvoller, sondern führt eher zur Aushöhlung der Akzepta- tionsbereitschaft und damit zum Zusammenbruch des Werbeziels. Zudem gibt es Beispiele, daß ein guter Slogan ein einziges Mal, aber schlaghaft und überraschend verkündet, immense Wirkung haben kann.

Allgemein sei jedoch gesagt: eine Werbung, die mangels eigener Intelligenz die des Publikums depraviert, ist nicht mehr eine bloße Angelegenheit der Wirtschaft und etwa der Einnahmenseite im ORF-Budget, sondern verdient das Einschreiten durch die maßgebenden Stellen der Volkserziehung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung