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Uber Reklame

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Fische haben keine Ahnung davon, daß sie im Wasser leben. Sie glauben, das Wasser sei eben die Welt und fühlen sich in der behaglichen, gewohnten Umgebung wohl und zufrieden. Wenn man sie aus dem Wasser zieht und an die Luft bringt, so sträuben sie sich, schlagen herum, schnappen und sterben. Ich möchte durch diese Einleitung dem Leser nur begreiflich

machen (falls er es nicht schon gewußt hat), daß auch die Menschen im allgemeinen das Charakteristische der durch Zeit und Ort ihres Lebens bedingten Lebensform meist nicht erfassen. Sie können sich eine andere Lage einfach gar nicht vorstellen, und wenn man ihnen verständlich machen will, daß ihre ganze Umgebung ja doch nur räumlich und zeitlich be-

dingt sei, so werden sie es entweder nicht glauben oder aber finden, daß dies ganz unwichtig sei.

Das entscheidende Wesensmerkmal unserer Lebensform, in der wir jetzt und hier leben, ist die Reklame. Die unentrinnbare Allgegenwart der Reklame in unserem Leben formt den Geist und die Denkungsart unserer ganzen Generation in einer Weise, wie dies früheren Generationen völlig fremd war und künftigen (mit Gottes Hilfe) ebenso fremd sein wird. Nicht nur Waren aller Art, die uns zum Kaufe angeboten werden, sondern auch falscher Ruhm und falsche Ehren, falscher, übler Ruf, falsche Charakterdarstellungen werden morgens, mittags und abends unermüdlich in uns hineingepumpt und unaufhörliche Wiederholung ist an die Stelle eindringlicher Begründung und vernünftigen Denkens getreten. In den Dingen aber, um die es den Menschen am allermeisten zu tun ist — ich meine Reichtum und Geld —, bedeutet Reklame einfach alles.

Das, was die Menschen nebst Reichtum am meisten anstreben, ist, daß von ihnen gesprochen wird. Das scheint zwar ein recht sonderbarer Wunsch zu sein, tatsächlich aber ist die große Mehrzahl der Menschen eifrig darauf erpicht, zumal in der Jugend. Wenn aber heutzutage einer wünscht, daß von ihm gesprochen wird, so bedarf er der Reklame. Man spricht heute von keinem Menschen, für den nicht tüchtig Reklame gemacht wird. Selbst wenn ein Toter auferstünde, würde er der Reklame bedürfen, damit die.Welt von diesem Ereignisse spricht. Der Satz gilt auch in seiner Umkehrung. Wollte man heute die Leute überzeugen, daß Tote auferstanden sind, und hätte man auch nicht die geringsten Beweise für eine so außerordentliche Begebenheit, so würde die hinreichend oft wiederholte Verkündung der Lüge genügen, um den gewünschten Erfolg zu erzielen.

Die Reklame hat in unserer Zeit jede Ordnung der Werte einfach auf den Kopf gestellt. Wohl ein jeder von uns ist in seinem Bekannten- oder Freundeskreise einigen wenigen Ausnahmemenschen begegnet, die durch ihr reiches Wissen öder durch ihre Weisheit oder durch ihre starke Persönlichkeit einen besonders tiefen Eindruck auf ihn gemacht haben. Wenn sie über reiches Wissen oder Weisheit verfügen, so sind sie für ihre Mitmenschen von großem Werte. Wenn sie überdies noch das Bedürfnis und die Fähigkeit haben, sich anderen Menschen mitzuteilen und sie an ihrem Wissen teilhaben zu lassen, so sind sie* für die Mitwelt von allergrößtem Werte. Und doch bleiben die meisten dieser Menschen völlig unbekannt, während die Namen jeneri für die Reklame gemacht wird, in aller Munde sind.

Dieser eigenartige und, wie zu hoffen ist, vorübergehende Zustand zeitigt jedoch schwerwiegende Folgen: die Tatsache nämlich, daß diejenigen, die über die Schlüssel zur-Reklame verfügen, die Herren und Meister des Handels und der öffentlichen Meinung sind. Die, welche die Hebel der Reklamemaschine (insbesondere der Presse) in ihren Händen halten, die unermüdlich wiederholt, daß dies oder jenes gekauft werden soll, daß dies oder jenes gut sei, daß dies oder jenes unübertrefflich sei, daß dies oder jenes wahr sei, haben auch die Macht, dort, wo sie es wollen, Schweigen zu gebieten und aufzuerlegen. Noch bis vor kurzer Zeit haben sich die Hüter der Pforte zur Reklame (und in unserer großstädtischen Gesellschaftsform handelt es sich dabei um eine Handvoll Leute) damit begnügt, eine Art Maut oder einen Zoll vor ihrer Pforte einzuheben und denen, die etwas ankündigen wollten, zu sagen: Sie können mein Tor nur passieren, wenn Sie soundso viel bezahlt haben. Anfangs gaben sie sich mit den gewaltigen Einkünften, die aus dieser Art des Geschäftes flössen, zufrieden. Langsam aber entdeckten sie, was gescheitere Leute als sie schon längst entdeckt hätten, daß sie ihr Ge-

schaff nicht nur negativ, sondern auch positiv betreiben könnten. Sie brauchten sich ja nicht damit zu begnügen, einen Zoll einzuheben, sondern konnten ja kommandieren. Sie konnten ihr Tor für manche ganz sperren und konnten andere veranlassen, einzutreten. Dieser Umstand verlieh ihnen Macht, die von den Menschen ebenso heiß begehrt wird wie das Geld und der Ruhm. Und so gelangten die Herren und Meister der Reklame nicht bloß zu Reichtum, sondern auch zur Herrschaft.

Die Vorsehung hat es in dieser Welt so vortrefflich eingerichtet, daß die Menschen, die nach Reichtum streben, sowie die, die nach Ruhm streben, und endlich die, die nach Macht streben, gewöhnlich im Verhältnis zu der Intensität ihres Strebens dumm sind. Wäre es nicht so eingerichtet, so würde der Schaden, den die Herren und Meister der Reklame anrichten, unermeßlich sein. So aber sind dem Schaden durch ihre Dummheit Schranken gezogen. Aber wir dürfen uns nicht täuschen — er ist im Anwachsen, da die Herren der Reklame von Tag zu Tag neue Möglichkeiten entdecken und ihr Wirkungsgebiet immer mehr erweitern. Wir finden hier das klarste Beispiel? für die große Wahrheit, daß “clas Uebel in dieser Welt immer von einer Vertauschung der Mittel ls Zwecke herrührt.

Läßt sich das Ende dieses Ucbels absehen? Es ist ganz offensichtlich im Ansteigen begriffen. Es ist heute viel schlimmer, als es noch vor dreißig Jahren war, und bei weitem ärger, als es vor sechzig Jahren gewesen ist. Und doch muß man sagen: Jeder, der diese Entwicklung leidenschaftslos beobachtet, ohne sich in seinem Urteil durch seinen Aerger und seinen Abscheu über das Schauspiel beeinflussen zu lassen, wird zugeben, daß die Krankheit einem Höhepunkte und somit einer Grenze zueilt; ja, mehr noch, wir können in diesem Höhepunkte zugleich auch das Heilmittel gegen diese Krankheit erblicken. Wohl ist es kein Heilmittel, das wir aus freiem Willen verabreichen könnten, sondern eines, das sich von selbst ergibt, wie es vielleicht bei Epidemien in der Natur der Sache liegt.

In verschiedenen Beziehungen kann man sagen, daß die Reklame einem Höhepunkte und damit einer Grenze zustrebt. Erstens besteht sie in unausgesetzten Wiederholungen, und diese müssen auf die Dauer ermüdend wirken. Die große Menge fühlt die Ermüdung zwar nicht so rasch wie die kultivierten Schichten und die denkenden Menschen, aber schließlich

wird es auch der breiten Menge mit der Zeit zuviel.

Ein weiterer Grund für die gleiche Erscheinung liegt in der Uebersteigerung des Konkurrenzkampfes, bis dieser sich durch Fusionen und Kartelle schließlich selbst ausschaltet, wie dies im kommerziellen Leben so deutlich sichtbar ist. Das wilde Toben der Reklameschlacht zwischen Konkurrenten wird plötzlich stille, weil sich die Rivalen verbündet haben, um das Publikum gemeinsam zu schröpfen. Auf beträchtlichen Gebieten des kommerziellen und industriellen Lebens ist dieses langsame Schwinden der Reklame durch Ausschaltung des Konkurrenzkampfes bereits deutlich erkennbar. Sicherlich ist dies ein schlechtes Heilmittel für eine schlechte Sache, aber es ist immerhin ein Heilmittel. Es könnte allerdings scheinen, die einzige Gefahr, daß die Heilung verhindert wird, sei die allgemeine Fusion aller Kräfte in ein einziges monopolisiertes, despotisches Machtzentrum, wie ein solches gerade in unserem Zeitalter als das moderne Allheilmittel gegen alle Mißstände in der menschlichen Gesellschaft und im Staate betrachtet wird. In so einem zentralisierten Despotismus, in dem jeder Wettbewerb unter Kontrolle gestellt ist, kann jeder Teil und jede Einzelgruppe jeden Moment ausgeschaltet und vernichtet werden. Aber dagegen ist zu sagen, daß ja die Despotismen selbst wieder auf der Rlklame beruhen, und zwar auf einer Art der Reklame, die hier ganz unmenschliche, monströse Formen angenommen hat. Irgendein Name, eine politische Partei, ein Schlagwort, wird so ununterbrochen immer wieder gebrüllt, bis die Menschen davon taub werden. Der moderne Despotismus erscheint in der Tat die Vergottung der Reklame. Unter diesem Despotismus aber erstirbt die Reklame der einzelnen und das bedeutet das Ende der Reklame als Konkurrenzkampf; aber auch in der monopolisierten Reklame wird schließlich Uebersättigung bis zum Ekel ihre Wirkung nicht verfehlen.

Wenn einmal die Reklame in allen ihren Erscheinungsformen sich überschlagen und dadurch ihre Macht verloren haben wird, dann wird ganz langsam und unmerklich eine in Barbarei versunkene und daher einfache Gesellschaft wieder gesunde und vernünftige Wege finden, auf denen Menschen zu Ehre und Ansehen gelangen und auf denen sich ein ehrlicher Handelsverkehr abwickeln läßt: die Menschen werden ihre Ziele nicht durch lärmende Propaganda und endlose Wiederholungen zu erreichen suchen, sondern Ansehen und öffent-

liehe Ehrung wird, wie es in besseren Zeiten war, als Frucht ehrlicher Leistung errungen werden. Ein Mann wird dann wieder durch das, was er getan und geleistet hat, Berühmtheit erlangen. Seine Gestalt mag dann, je nachdem er Gutes oder Böses tat, bewundert oder verab-

scheut werden, und wir werden die Freiheit erlangt haben, die Dinge so zu beurteilen, wie sie wirklich sind.

„Gespräch mit einem Engel“, Verlag Herold, Wien-München

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