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Europas Zahlmeister sind müde geworden

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Wenige Tage vor den ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament interessiert die deutsche Bevölkerung alles andere mehr als dieses als „historisch“ apostrophierte Ereignis. Von Begeisterung, die die europäische Idee vor 15 oder 20 Jahren noch zu wecken vermochte, findet sich diesmal kaum eine Spur. Würden nicht an jeder Straßenecke die vielfarbigen Wahlplakate augenfällig auf den 10. Juni hinweisen, käme man gar nicht auf den Gedanken, es könnte ein Wahlkampf sein.

Das für deutsche Verhältnisse eigenartige Desinteresse an dieser Wahl signalisiert eine allgemeine Europa-Müdigkeit, die allerdings nicht von ungefähr kommt. Zwar halten immer noch über dreiviertel der deutschen Bevölkerung die europäische Einigung für eine sehr wichtige Angelegenheit und bejahen auch die Bemühungen der politischen Kräfte. Aber es ist nicht mehr als eine passive Anteilnahme.

Ausschlaggebend für diese Haltung ist wohl die Enttäuschung darüber, daß allzuviel über Europa geredet wurde, aber kaum etwas Sichtbares geschah. Stattdessen präsentierte sich dem Bürger die Euro-Bürokratie in Brüssel als völlig undurchschaubarer Verwaltungsdschungel, und die Nachrichten registrierten Europa meist nur negativ:

Ablehnung in Großbritannien, antideutsche Ausfälle in Frankreich, absurd anmutende Agrarpolitik, Hick-Hack um die europäische Währungseinheit und über alledem immer wieder das bei den Deutschen wie langsames Gift wirkende Wort vom „Zahlmeister Europas“. So kommt es, daß sich bei den Bürgern ein gewisser Unmut aufgebaut hat, der Mangels einer Möglichkeit zum Abreagieren in Desinteresse umschlägt.

Leider tun die Politiker nicht allzuviel, um die zweifellos vorhandene Bereitschaft zum Engagement zu wecken und in die richtigen Bahnen zu lenken. Sie führten einen reichlich lahmen Europawahlkampf.

Signalisiert ist bei diesem Europawahlkampf, daß er primär unter innenpolitischen Gesichtspunkten geführt wurde, insbesondere von CDU und SPD. Die christlichen Demokraten werben auf ihren Plakaten „Für ein freies und soziales Europas - gegen ein sozialistisches Europa“. Sie nehmen es den Sozialdemokraten besonders übel, daß in deren Europawahlprogramm die Konservativen zu den Hauptgegnern erklärt wurden und nicht etwa die Kommunisten.

Allerdings hat die SPD gegenüber der CDU insofern ein entscheidendes Plus, daß ihre Spitzenkandidaten Willy Brandt, Heinz Oskar Vetter, der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, und Heinz Kühn, der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, natürlich weit bekannter sind als die von den Christdemokraten auf Landeslisten präsentierten Spitzenkandidaten. Doch gleich welchen Bekanntheitsgrad die Kandidaten auch haben, besonders begeistert führen sie den Wahlkampf nicht.

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