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Forschen — oder?

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Erwin Chargaff, an der modernen Biochemie maßgebend beteiligt, meint zornig, daß die von der Aufklärung unterzeichneten Pfandbriefe in unserer Zeit fällig geworden wären. Er wehrt sich gegen die krankhafte Hast, mit der die Ergebnisse der Biochemie vermarktet werden. Die Wissensexplosion setzt er mit dem Untergang der Menschheit in Beziehung: „Das Herz des Menschen ist zentripetal, die Naturforschung ist zentrifugal. Je weiter und je schneller diese fortschreitet, umso mehr muß jenes zerrissen werden. In allem auf der Welt gibt es eine Grenze!"

Gedanken über das Lesen und Schreiben, über die Sprache, die Dichter und die Wissenschaft münden in den Aufruf, die Bequemlichkeit und Ratlosigkeit aufzugeben und sich aus dem eigenen Gewissen zur Wehr zu setzen.

Rational-aufklärerisch stellt Peter Herrlich, leitender Genetiker, die neuesten Ergebnisse der Gentechnik und der Onkogenese (Krebsentstehung) klar, aber sehr schwierig dar. Er sieht den Erkenntnisgewinn als Motor der Genforschung. Seine Skepsis gegenüber ihrer Kommerzialisierung bezieht sich weniger auf die Verflechtung von Forschung und Profit, sondern auf die Gefahr zunehmender Geheimhaltung und mangelnder wissenschaftlicher Kommunikation. Diese Gefahr ist tatsächlich enorm, weil die Naturwissenschaft Intersubjektivi-tät unabdingbar voraussetzt. Daher verlangt Herrlich die Kontrolle der Genforschung durch die Wissenschaftler selbst, „da nur die Wissenschaftler selbst den immer komplexeren Forschungsbetrieb zu durchschauen vermögen ..."

Einäugige Blindenführer?

Herrlich wünscht, daß wir ohne Tabus rational mit unserer Zu-

kunft umgehen mögen. Dazu ist allerdings festzustellen, daß uns gerade die Ideologie der Ratio in eine unheilvolle Entwicklung gestürzt hat. Und es ist zu befürchten, daß uns dieselbe Ideologie trotz des Aufrufes „Tut was!" weiter ins Chaos stürzen läßt.

Eine Art Synthese zwischen den Ansätzen von Chargaff und Herrlich vermittelt der 1982 verstorbene Bakteriologe Rene Dubos in seinem Buch über Humanisierung des Homo sapiens, Umwelt, biologische und soziale Evolution, Rohstoffe und Ressourcen. Er hält wohltuend kritisch Distanz: „Gewöhnlich überschätzen die Wissenschaftler den Erklärungswert wissenschaftlicher Ergebnisse. Die menschliche Natur ist jedoch nicht so simpel, daß man sie auf Kenntnisse reduzieren könnte, die Wissenschaftlern des 20. Jahrhunderts zugängüch sind."

Dubos versteht den Menschen als Person - einzigartig, beispiellos und unwiederholbar -, als Resultat von Vererbung, Umwelteinflüssen und vor allem der getroffenen Entscheidungen während seiner Existenz.

Das ist sehr viel, aus christlicher Sicht aber auch zu wenig. Klar und eindeutig bekennt sich Alfred Dick, Bayrischer Umweltminister, zum Menschen als Teil der Schöpfung und zu dessen oft mißverstandenem, begrenztem Schöpfungsauftrag. Neugestaltung der Welt ist Gottesdienst, Friede und Vollendung aber Werk Gottes.

ZEUGENSCHAFT. Von Erwin Chargaff. Klett-Cotta, Stuttgart 1985. 239 Seiten. Ln., öS 265,-.

GENTEC POP ONC. Von Peter Herrlich. Quadriga Verlag J. Severin, Berlin 1985. 350 Seiten, geb., öS ca. 327,-.

DIE WIEDERGEBURT DER WELT. Von Rene Dubos. Econ, Düsseldorf 1983. 318 Seiten, geb., öS 280,80.

SCHÖPFUNG UND NATUR. Von Alfred Dick. Hanns-Seidel-Stiftung, Eichstätt 1985. 91 Seiten.

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