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Wo fallen die Entscheidungen, die unser Leben bestimmen?

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Gegen ein kurzbeiniges Nutzendenken, gegen das Abschwimmen in eine inhumane und konsumorientierte „Kulturmaschinerie“ und gegen wertfreie Formen kultureller Betätigung haben die Bregenzerwälder Kulturtage den Kampf aufgenommen, weü sonst, und das ist die Kemidee der Veranstalter, das menschengerechte Kulturgut abbröckelt und einem pseudokulturellen Wirrwarr Platz macht. Der Mensch wird immer mehr zum Spielball ideologischer Agitatoren, die unter dem Deckmantel des Kulturschaffens den einzelnen zugunsten ihrer oft fragwürdigen Zielsetzungen manipulieren und ausbeuten. Seit sieben Jahren wird daher im äußersten Westen Österreichs, in der noch teilweise unberührten Land schaft (fast symbolhaft!) des Bregenzerwaldes, über Gesellschaftsprobleme diskutiert mit dem Ziel, eine dem Menschen unserer Zeit gerecht werdende Form seines geistig-kulturellen Lebens zu finden und zu pflegen.

Als Basis gilt die christlich-abendländische Tradition. Die Bregenzerwälder Kulturtage wollen zeigen, wie unter dem Deckmantel einer Vermenschlichung die radikale Änderung unseres Gesellschaftssystems von verschiedenen Seiten versucht wird. Experten und Wissenschaftler sind deshalb jedes Jahr zwei Tage bei den Kulturtagen des Bregenzerwaldes die Referenten und Diskutanten.

Partnerschaftsverhalten bestimmt die Gesellschaft! Heuer galt es zu un-

tersuchen, welche Einflüsse unsere Gesellschaft, unsere Gegenwart bestimmen. Wer erwartete, es würde um Tagespolitik, Umweltschutz, Medieneinfluß und ähnliche Dinge gehen, wurde eines anderen belehrt. Universitätsprofessor August Nitschke, Leiter der Abteilung für historische Verhaltensforschung am Institut für Sozialforschung an der Universität Stuttgart, sieht das Entscheidende in der Partnerbeziehung des Menschen, von der letzten Endes die gesamte Menschheitsentwicklung abhängt. Sie sei bedeutender als Wissenschaft, Technik und Rüstung. Im Gegensatz zu den äußeren Einflüssen könne der einzelne das partnerschaftliche Verhalten von sich aus verändern. So gesehen, sind Intoleranz, Rücksichtslosigkeit und Menschenverachtung Ausfluß einer gestörten Verhaltensweise. Man denke an die Marschkolonnen der paramilitärischen Verbände in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Wer nicht zu einer Gruppe gehörte, oder sich ihr nicht unterwarf, wurde rücksichtslos ausgeschieden, bis zur physischen Vernichtung.

Und heute? Viele Menschen leben in einer Vorstellungswelt, die anderen nicht zugänglich ist. Wenn der Mitmensch da nicht hineinpaßt, ist man auch heute bereit, ihn um des Ideals willen totzuschießen. Nitschke verweist als Beispiel auf den Terro rismus, der dieser Verhaltensweise entspringt. Anders, so Nitschke, seien die außereuropäischen Völker, die wegen ihres starken partnerbezogenen Verhaltens die europäischen Menschen einholen und in einigen Generationen ihnen weit überlegen sein würden. Nitschke hält eine bindungslose Kindererziehung daher für gefährlich, denn sie führt zwangsläufig zu einem partnerlosen Verhalten.

Nicht politische Entscheidungen bestimmen die Menschheit! Der Soziologe, Universitätsprofessor Friedrich Tenbruck von der Universität Tübingen verweist auf die Glaubensmächte, wie Christentum, Wissenschaft und Kommunismus, die Gegenwart und Zukunft bestimmen. Es sind nicht die politischen Entscheidungen, die das tun. Den Traum der Menschheit, ihr Geschick selber bestimmen zu kön nen, hat die Demokratie nicht zu erfüllen vermocht. Und am Widerspruch zwischen Idee und Wirklichkeit pflegen bekanntlich Staatsformen zu scheitern. Daraus, aus der Undurch- schaubarkeit demokratischer Entscheidungen und der Unsicherheit der Lösungen, erklärt sich der Vormarsch von Marxismus und Kommunismus. Beispielsweise ist die Universalität des Christentums mit Erfolg von der Wissenschaft zurückgedrängt worden, sagt Tenbruck. Aber der Wissenschaft stehe nun wiederum eine progressive Intelligenz mit zunehmender Skepsis gegenüber. Für den Kommunismus sei es daher ein leichtes, sich weltweit als allein seligmachende Heilslehre zu deklarieren. Tenbruck sieht diese Entwicklungen schleichend, sie vollziehen sich so langsam, daß sie den Menschen in ihrer Zeit nicht voll bewußt werden können.

Schlagwort als Keule

Das Schlagwort als Keule: Unsere Wörter, erklärte der Journalist und Sprachkritiker Wolf Schneider aus Hamburg, stammen aus der Eiszeit und aus Großmutters Zeiten. Ein Blick in die Sprachwerkstatt beweise dies eindeutig und zeige, wie der Mensch allein schon von den Vorurteilen, die in den deutschen Wörtern stecken, abhängig ist. Die Manipulierbarkeit des Menschen ermöglichen besonders die Schlagworte und nicht umsonst bilden politische Parteien oft eigene Kommissionen, um Schlagworte zu erfinden. (So geschehen bei der CSU mit dem Satz „Freiheit statt Sozialismus“).

Vorhandene Wörter ändern immer wieder ihre Bedeutung - das gefährliche daran ist, daß Persönlichkeiten bewußt eine Änderung herbeiführen können. Marx zum Beispiel hat es verstanden, aus dem Wort „Profit“, das früher gleichbedeutend mit „Gewinn“ war, ein Art Schimpfwort im Sinne von ,Ausbeutung durch die Unternehmer“ zu machen. Man denke an das gegenwärtig bedeutendste Schlagwort „Gleichheit“. Es gibt keine Gleichheit auf diesem Erdkreis, denn alles ist verschieden. Gleich ist nur, was in sich ident ist, mit sich selbst übereinstimmt. Schlagworte greifen tief in die Gegenwart ein, da sie versuchen, alles zu halten und sich zu nichts zu verpflichten, da sie geeignet sind, jeden anzusprechen, da sie eine Bedeutung haben, ohne etwas auszusagen.

Nach Schneider sind die Schlagworte Keulen in der Hand von Politikern und böswillig engagierten Menschen und meint, wem es gelinge, Schlagworte zutode zu definieren, dem gebühre die größte Auszeichnung. Besonders die linken Kräfte verstünden es immer wieder, Schlagworte zu erfinden und mit ihnen umzugehen.

Bewacher des Ethischen

Heute geht ein Gespenst um in Ost und West, dessen Name niemand kennt. Es zeichnet sich durch eine totale Verunsicherung aus, durch einen Kampf gegen das Mystische. Ein düsteres Bild zeichnet der Herausgeber der „Presse“, Otto Schulmeister, und weist auf die geschichtliche Entwicklung, die bereits den Untergang des himmlischen Jerusalem gefördert hat. Der Mensch sei heute in einer Verfassung, die ihn gottunfähig mache. Streß, Umweltverseuchung und Sinnleere seien die Folge und stürzten die Menschheit in Ängste, die in ihrer Haltlosigkeit nicht überwunden werden können. Die Geisteswelt zeichne sich durch einen Transzendenzverlust, durch eine Entmythologisierung und leere Gesten aus. Aber nichts, was der Mensch tut, sei frei von Glauben. Deshalb, so Schulmeister, soll das Christentum wieder zum Bollwerk gegen materialistische Eingriffe werden und zum Bewahrer des Ethischen. Denn je komplizierter die Eingriffe in die Gesellschaft werden, um so unkontrollierbarer die Reaktionen.

Den Bregenzwälder Kulturtagen ist es gelungen, die Diskussion über unsere Zeit und unser Leben bestimmenden Faktoren zu beleben und zu zeigen, daß in unserer Gesellschaft von den eigentlichen Gefahren oft bewußt und gezielt abgelenkt wird.

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