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Gewerkschaften üben den Aufstand

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Werden die.französischen Linksgewerkschaften, die kommunistische CGT und die sozialistische CFDT, zum Staat im Staate? In letzter Zeit mangelt es nicht an Anzeichen für eine solche Entwicklung.

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Werden die.französischen Linksgewerkschaften, die kommunistische CGT und die sozialistische CFDT, zum Staat im Staate? In letzter Zeit mangelt es nicht an Anzeichen für eine solche Entwicklung.

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Ohne Rücksicht auf deren schwierige Finanzlage und einen harten internationalen Konkurrenzkampf inszenieren die kommunistische CGT und ihr prosozialistischer Konkurrent CFDT abwechselnd Streiks in der Automobilindustrie. Sie mobilisieren hierfür meistens eine kleinere

Zahl von Fremdarbeitern, die an Knotenpunkten der ^Produktion tätig sind und durch ihren Ausstand nach wenigen Tagen ein ganzes Werk stillzulegen vermögen.

Es handelt sich demnach um eine wohlüberlegte Taktik, die in erster Linie die Macht der Gewerkschaften beweisen soll. Die bei dieser Gelegenheit gestellten Forderungen sind zweitrangig. Als die Masse der Arbeiter nicht mehr folgen wollte, schreckten in einigen Fällen die Gewerkschaften auch vor der Gewalt nicht zurück. Sie versuchten so mit Eisenstangen und anderen Hilfsmitteln, die Arbeitswilligen aus den Werkhallen zu verjagen. In einer Fabrik wurden rund 20 Verletzte gezählt.

Als sowohl die staatlichen Renaultwerke wie die private Gruppe Peugeot-Citroen als Antwort hierauf Entlassungen ankündigten, darunter auch einige Ge

werkschaftsdelegierte, erfolgten laute Proteste mit neuen Arbeitsunterbrechungen ohne Rücksicht auf die in diesen Fällen gesetzlich verankerte Prozedur.

Die von den beiden Organisationen CGT und CFDT angestrebten politischen Ziele sind allerdings nicht identisch:

Der der sozialistischen Regierungspartei angehörende Generalsekretär der CFDT Edmond Maire ist kein Draufgänger, sondern eher ein Idealist mit einer gewissen Naivität. Der wirtschafts- und sozialpolitische Optimismus der Regierung überzeugt ihn nicht. Er ist sich der Schwierigkeiten und auch der Fehlschläge des sozialistischen Experiments bewußt und rechnet mit einer längeren Durststrecke, die auch der Arbeiterschaft nicht leichte Opfer auferlegen wird.

Wenn sich eine Linksregierung in dieser mißlichen Lage nicht selbst aufgeben will, muß się seiner Ansicht nach einen Ausgleich für die aufgezwungene Austerität schaffen und daher den Arbeitern größere Rechte in den Betrieben einräumen sowie zusätzlich für eine größere Gleichheit sorgen. Die Philosophie Edmond Maires läßt sich auf eine einfache Formel bringen: Austerität = Macht in den Betrieben plus Komprimierung der Einkommenshierarchie.

Maire war stets ein eifriger Anhänger der Autogestion, der Selbstverwaltung der Betriebe. Die Kehrseite der Medaille ist die hinreichend bekannte Abneigung

der französischen Arbeiterschaft gegenüber der Mitbestimmung. Der Arbeitsplatz ist nicht ihr Lebensraum, die Verantwortung soll beim Unternehmer oder beim Staat bleiben. Autogestion bedeutet aber Mitverantwortung, wenn sie überhaupt einen Sinn haben soll.

Edmond Maire schwebt demnach gewissermaßen im luftleeren Raum. Gewiß, er selbst und seine Mitarbeiter lehnen die wirtschaftliche Verantwortung nicht ab, ihre Gefolgschaft geht jedoch andere Wege. Dies ließen die jüngsten Streiks in der Automobil

industrie besonders drastisch erkennen.

Es ist nicht sicher, daß der Gewerkschaftsführer für seine lohnpolitischen Vorstellungen ein stärkeres Echo findet. Er will nämlich den gesetzlichen Mindestlohn trotz der notwendigen Austerität weiter aufstocken und außerdem zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit kurzfristig ohne Lohnverlust für die unteren Einkommensgruppen die 35-Stun- den-Woche einführen. Die Rechnung müßten die mittleren und oberen Lohngruppen bezahlen.

Der kommunistischen CGT

geht es ganz einfach um die politische Macht. Sie will der Regierung verständlich machen, daß sie, falls es ihr zweckmäßig erscheint, die Möglichkeit besitzt, den Produktionsapparat stillzulegen und die Voraussetzungen für eine revolutionäre Aktion zu schaffen.

Geschickt spielen die Kommunisten mit agitierenden Minderheiten und bereiten sich auf den Tag vor, an dem sie in die Opposition übergehen und Mitterrand den Kampf ansagen werden. Sie sind weit geschickter als Maire und seine CFDT, denn sie wollen nur erproben, wie weit sie im Ernstfälle gehen können, ohne augenblicklich die Dinge auf die Spitze zu treiben.

Inzwischen bestehen paradoxe Verhältnisse, denn die beiden Linksgewerkschaften sind trotz ihrer Posaunenstöße in keiner Weise für die Arbeiterschaft repräsentativ. Ihr Mitgliederbestand stagniert. Nicht einmal 20 Prozent der französischen Arbeitnehmer sind für sie regelmäßig Beiträge zahlende Anhänger. Ihre Streikparolen werden bei weitem nicht immer befolgt.

Obwohl die Automobilindustrie zu ihren Hochburgen gehört, beteiligten sich an ihren letzten Aktionen nur noch zwischen 5—10 Prozent der Belegschaften. Auch finanziell sind sie notleidend. Dies hindert sie nicht daran, mit beachtlichen politischen Trümpfen zu spielen, hauptsächlich weil sie von den Unternehmern und der Regierung stets als Sozialpartner anerkannt wurden und man ihnen so eine Bedeutung beimißt, die sie rein sachlich nicht verdienen.

Den größten Nutzen ziehen diese beiden Gewerkschaften jedoch augenblicklich aus der Tatsache, daß eine Linksregierung auf sie Rücksicht nehmen muß, weil sie ohne ihre Rückendeckung nicht mehr die erforderliche Glaubwürdigkeit besäße.

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