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Kampf um die letzten Jobs

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Es wird immer deutlicher: Den maßgeblichen Politikern fehlt die Phantasie, wie sie auf die zusammenbrechende Arbeitswelt reagieren sollen.

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Es wird immer deutlicher: Den maßgeblichen Politikern fehlt die Phantasie, wie sie auf die zusammenbrechende Arbeitswelt reagieren sollen.

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Die derzeitige Arbeitswelt wird von einer immer öliger perfektionierten Tranquilizer-Politik als eine Art soziales Minimundus dargestellt, das vorübergehend ein klein wenig in Unordnung geraten ist. Einer verunsicherten Bevölkerung soll damit so etwas wie die wohlige Sicherheit der goldenen siebziger und achtziger Dezennien vermittelt werden.

Die Antworten auf die grundlegend neue Situation bleiben jedoch die alten:

  • Wachstumsbeschleunigung,
  • verstärkte Zwangsverwaltung des knapper werdenden Arbeitsvolumens,
  • Verstärkung der Erwerbsorientierung der Sozialsysteme. Solche Maßnahmen sind das genaue Gegenteil eines Typus von Reformen, die „die Koordinaten der Arbeit selbst ins Visier nehmen, neu begreifen und von veränderten Sinnbezügen her neu ordnen”, wie es stellvertretend für viele andere die deutsche Studie „Arbeit 2000” fordert.

Wen kann es da wundern, daß sich daher die Gräben zwischen Politik und Wissenschaft vertiefen? Eine deutliche Radikalisierung der Debatte über die Zukunft der Arbeit ist hier zu beobachten.

Unter den Sozial- und Arbeitsexperten herrscht weithin Einigkeit darüber, daß ein Bruch mit der Strategie der bisherigen bloß punktuellen Adaptierungen von Arbeitsrecht, Arbeitsmarktregulierung und Sozialpolitik unvermeidbar ist. Jeremy Rifkin (der vom "Ende de Arbeit" spricht) und Robert Reich (der den Niedergang der nationalstaatlichen Arbeitspolitik nachzeichnet) haben jene Befunde billant zusammengefaßt, die ein Nachdenken über ein grundlegend neues Design der Arbeit einfordern. Erst angesichts dieser Dramatik der Lage gewinnen selbst so hochfliegende Ansätze wie die fulminante Beschreibung der Potentiale und Entfaltungsmöglichkeiten der Arbeit von Matthew Fox plötzlich an Aktualität (siehe Seite 10). In dieser etwas anderen Welt der Analyse von Status, Krise und Perspektiven der Arbeit scheint die Zeit reif für eine "Revolution der Arbeit" (Fox), für eine neue Mischung aus Fremdarbeit und Eigenarbeit (Bund/Misereor), für eine vita activa (H. Arendt).

Natürlich fallen derartige Denkansätze unter das Utopieverdikt der politischen Kaste. Es ist daher der Frage nachzugehen, ob Ideen, die sich dem Programm eines Umbaus der Arbeitswelt und einer Befreiung der Arbeit verschreiben, nicht blutleere, sich dem Einstieg in die Realität gänzlich verweigernde intellektuelle Spielereien sind.

Verwirklichungschancen für große neue Entwürfe gibt es immer, aber sie hängen von Voraussetzungen ab:

  • es muß eine tiefe objektive Krise vorliegen ("so geht es nicht weiter")
  • die Krise und ihre Alternativen müssen in den Lebenswelten der Menschen konkret erfahrbar sein und Diskurse auslösen (wir brauchen ein Subjekt der Veränderung),
  • die Lösungen müssen mit der ökonomischen Leistungsfähigkeit in den Kernsektoren der Wirtschaft vereinbar sein (Machbarkeit).

Betrachtet man die heutige Situation näher, so erweist sich die These der politischen Technokratie, größere Veränderungen würden nicht akzeptiert werden und die fragile Wettbewerbsfähigkeit zertrümmern, als Schutzbehauptungen. Der Frage der Realisierbarkeit und der Erforderlichkeit eines neuen Modells der Arbeit gelten die folgenden Überlegungen:

Die derzeit beobachtbaren Entwicklungen fegen wie ein Tornado über die bisherige, eher gemütliche Arbeitslandschaft hinweg. Massenarbeitslosigkeit wird mit steigender Tendenz zur Dauererscheinung, ohne Hoffnung auf eine Wende. Der Sektor prekärer Beschäftigung wächst, und die Mehrheit der Jobs wird unsicherer und belastender. Arbeit bietet immer weniger Menschen ein ausreichendes Einkommen. Die durch Jahrzehnte gültige Normalität der lebenslangen Vollzeitbeschäftigung verflüchtigt sich: Der Masse an Arbeitskräften bietet sich die Perspektive iener diskontinuierlichen, unsteten, brüchigen, mit schwankenden Einkommen versehenen, oft von Zufällen abhängigen Arbeit. Damit wird auch ein stabiler und planbarer Lebensverlauf zur Ausnahme.

Rein quantitativ schrumpft Arbeit zur Marginalie im Leben (umgelegt auf das ganze Leben: Ein Tag Arbeit pro Woche): Sie bleibt dennoch Mittelpunkt aller Zuweisungen an Geld, Status, Macht und Kompetenz, denn nach wie vor hängen fast alle materiellen Sicherungen (Sozialsystem, Familie) am Tropf der Erwerbsarbeit.

Der am Weltmarkt exponierte Arbeitssektor steht unter einem rabiaten Wettbewerbsdruck: Dieser demontiert auch die staatlichen Schutzschirme. Schon stehen weitere Automatisierungswellen vor der Tür, die ganze Barachen wegschwemmen werden. Unternehmen verwandeln sich in informationsverarbeitende Aktionszentren, die ein flexibles Zusammenspiel verschiedener, möglichst billiger Produktionsfaktoren in einerm elektronischen Verbund organisieren, ohne geographische Begrenzung und ohne auf klassische (geschützte) Arbeitsverträge angewiesen zu sein.

Durch die Verbreitung modernster Produktionstechnologien bis in die letzten Winkel des Planeten schmilzt das bisherige Produktivitätsgefälle zu den "Billiglohnländern", ein Prozeß, der durch den weltweiten Ausbau und die Verbilligung von "Netzen" für den Transport von Waren, Diensten und Informationen noch weiter angeheizt wird. Gerade die stark zunehmende Informationsarbeit ist ortsungebunden nun außerhalb traditioneller betrieblicher Strukturen organisierbar.

Mit alledem verschärft sich die vertikale Schichtung in der Gesellschaft: Die neue Oberschicht der Arbeitnehmer, die "Symbolanalytiker" (R. Reich), hochqualfizierte Wissens- und Informationsarbeiter, macht zwischen zwei und 20 Prozent der Erwerbstätigen aus und erzielt marktbedingt hohe Einkommen: Die verzweifelte Lage der untersten 20 bis 30 Prozent ist bekannt: Nun rollt eine Welle sehr subtiler und kompliziert verlaufender Verarmungen der (Arbeitnehmer-)Mittelschichten und ihrer Familien.

Auf den Nationalstaat zu hoffen wäre vergeblich. Nicht nur der Globalisierungsdruck, auch das Tempo und die Kompexität der Entwicklungen degradieren diesen zu einem Papiertiger.

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