Delors, Schäuble, Brandstaller: Prophet:innen, die fehlen

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Jacques Delors, Wolfgang Schäuble und Trautl Brandstaller unterschied vieles. Doch sie alle standen als intellektuelle Schwerkräfte für eine politische Vision. Drei Hommagen – und Wünsche.

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Jacques Delors, Wolfgang Schäuble und Trautl Brandstaller unterschied vieles. Doch sie alle standen als intellektuelle Schwerkräfte für eine politische Vision. Drei Hommagen – und Wünsche.

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In einem kleinen Zimmer unter dem Dach des Burgtheaters hat Trautl Brandstaller regelmäßig Friedrich Heer besucht. Hier hatte der intellektuelle Feuerkopf der FURCHE nach seinem – nicht ganz freiwilligen – Abgang 1961 eine neue Wirkungsstätte als Dramaturg gefunden. Mit ihm, dem von Universität und katholischen Kreisen Verbannten, diskutierte die junge Journalistin über Gott und die Welt, über Religion und Politik, über Kirche und Moral – und natürlich über Österreich. Was die Ursache sei für all die Fehlentwicklungen und „Engführungen“ im Land, wie sie Heer diagnostizierte? Die Antwort des christlichen Humanisten und „Linkskatholiken“ fiel scharf und nüchtern aus: Schuld seien „unsere beiden vorrangigen Nationallaster – Neid und uneigen­nützige Gemeinheit“.

„Der Prophet, der uns fehlt“: So lautete der Titel jenes FURCHE-Essays vom 7. ­April 2016, in dem sich Trautl Brandstaller anlässlich des hundertsten Geburtstags von Heer an diese Gespräche von einst erinnerte. Nun ist die ehemalige FURCHE-Redakteurin und langjährige -Kolumnistin selbst verstorben (siehe Nachruf von Anton Pelinka). Und auch sie wird diesem Land bitter fehlen: ihre Courage, ihre Intellektualität, ihre politische Klarheit bei gleichzeitiger argumentativer Offenheit und Streitbarkeit. Alles Eigenschaften, die im emotionalisierten, polarisierten und von sozialen Medien „getriggerten“ Diskurs von heute fast aus der Zeit gefallen scheinen – und gerade deshalb umso wichtiger wären.

Politische „Endmoränen“

Das verbindet Brandstaller übrigens mit jener ebenfalls verstorbenen Persönlichkeit, von der sie ansonsten jede Menge Weltanschauung trennt: Wolfgang Schäuble. So sehr er als langjähriger Kohl-Adlatus auch Fehler machte und als Innen- und Finanzminister in Deutschland wie europaweit polarisierte: Als vertraglicher Umsetzer der deutsch-deutschen Wiedervereinigung sowie überzeugter Parlamentarier und Bundestagspräsident war der streitbare Christdemokrat ein politisches Schwergewicht. Als „Endmoräne einer untergegangenen Zeit“ bezeichnete ihn der deutsche Publizist Gabor Steingart in seinem Nachruf. Und das war positiv gemeint.

Worum es – über alle politischen Beheimatungen hinweg – gehen müsse, sei der Schutz der repräsentativen Demokratie, betonte Schäuble vor genau einem Jahr in seiner Festrede zur Wiedereröffnung des sanierten österreichischen Parlaments. Ein Blick in die USA zeigt, wie brüchig diese scheinbar unverrückbare Säule längst geworden ist. Um den Durchmarsch der populistischen Vereinfacher zu stoppen, braucht es also das gemeinsame Engagement aller Demokratinnen und Demokraten, die „guten Willens sind“.

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