Sideletter: Im Hinterhof der Macht

19451960198020002020

Geheime „Sideletter“ belegen Österreichs verstörende Politnormalität zwischen Abtauschgeschäft und Postenschacher. Nun braucht es endlich Transparenz – und Differenzierung.

19451960198020002020

Geheime „Sideletter“ belegen Österreichs verstörende Politnormalität zwischen Abtauschgeschäft und Postenschacher. Nun braucht es endlich Transparenz – und Differenzierung.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Lexikon für politikwissenschaftlichen Dadaismus ist dank Werner Kogler um einen schillernden Begriff reicher: Ein Nullum, ein Nichts sei jener Satz, der in einer nun publik gewordenen Nebenvereinbarung zwischen ÖVP und Grünen von 2019 ein künftiges Kopftuchverbot für Lehrerinnen fixierte. In Wirklichkeit, so der grüne Parteichef und Vizekanzler, hätten die Grünen diese heftig umstrittene und höchstwahrscheinlich verfassungswidrige Bestimmung aus der türkis-grünen Regierungsvereinbarung sogar „herausverhandelt“. Zugestimmt habe man dem Vermerk nur für die „Psychologie“ der ÖVP – und weil man zwar neu in der Regierung sei, aber bitte nicht naiv.

Alles nur ein Nullum also? Oder ist die jüngste Aufregung über geheime „Sideletter“ zwischen Türkis-Blau (2017) und eben auch Türkis-Grün (2019) doch berechtigt? Tatsächlich offenbaren die internen Papiere, die am vergangenen Wochenende nacheinander den Weg in die Öffentlichkeit fanden – das türkis-blaue als Teil einer Zeugeneinvernahme von FPÖ-Klubdirektor Norbert Nemeth bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), das türkis-grüne danach als mögliche Retourkutsche –, ein verstörendes Sittenbild. Im türkis-grünen Deal finden sich darin etwa neben dem Kopftuchverbot auch das Aus für die „Hacklerregelung“ und das Nominierungsrecht wichtiger Personalia für Nationalbank, Verfassungsgericht sowie die Spitze des ORF-Stiftungsrats. Alles zwar unter der Voraussetzung entsprechender „Kompetenz und Qualifikation“, wie es heißt. Doch das Image der grünen „Saubermacherpartei“ scheint gleichwohl besudelt. Das türkis-blaue Papier geht indes noch weit darüber hinaus: Hier wurden nicht nur (womöglich strafrechtlich relevante) Deals zu Vorstandsbesetzungen fixiert, sondern auch konkrete Namen für redaktionelle ORF-Positionen.

Alles nur Inszenierung?

Der Aufschrei des Redakteursrats am Küniglberg ist entsprechend laut: Man fordere einmal mehr ein „Ende der parteipolitischen Postenbesetzung“ – und einen sofortigen Rückzug aller Personen aus dem Stiftungsrat, die im Sinne von Parteien agierten. Ob der von den Grünen als Vorsitzender vorgesehene Lothar Lockl in diese Kategorie fällt, ist freilich offen. Ob er sich nach all der Aufregung überhaupt noch der Wahl stellen will, ebenso.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung